Menschen fragen sich, was Liebe ist
REST DER WELT / BERLIN / LA FINTA GIARDINIERA
26/11/12 Hans Neuenfels Mozarts verknüpft Arien und Ensembles von Mozarts zweiter Opera buffa über neue Dialoge miteinander und setzt sie in neuer Reihenfolge zusammen. Besser geworden ist das Libretto nicht.
Von Oliver Schneider
Wenn Hans Neuenfels inszeniert, reagiert das Publikum gespalten. In Salzburg zu Gérard Mortiers Zeiten auf „Così fan tutte“ und vor allem „Die Fledermaus“, in Bayreuth auf „Lohengrin“. Das Kräftemessen zwischen begeisterten Anhängern und schroff ablehnenden Verweigerern ereignete sich am Samstagabend (24.11) auch im Berliner Schillertheater, dem Ausweichquartier der Staatsoper. Dort inszenierte Neuenfels die 1775 uraufgeführte „La finta giardiniera“. Das Werk des dazumal 19jährigen Salzburger Genius loci, das zwar die Wegziele „Entführung“, „Figaro“ und „Così“ deutlich erahnen lässt, aber aufgrund des Librettos mit seinen nur schwer nachzuvollziehenden Gefühlsverwirrungen eben nur ein Etappenziel darstellt.
Doch bei Mozart lohnt sich auch die Aufführung eines Etappenziels. Erinnert sei an Doris Dörries Lokalisierung in einem Gartencenter im Salzburger Landestheater 2006. Hans Neuenfels hat von Anfang an zugegeben, dass er mit dem Libretto nichts anfangen kann. Gesungen wird zwar ein Großteil der italienischen Arien und Ensembles, aber die Rezitative sind gestrichen. Auch die Dialoge der deutschen Fassung missfielen Neuenfels, stattdessen hat er eigene verfasst, in denen er die alte Geschichte mit seinen Worten erzählt: von Menschen, die sich fragen, was Liebe ist.
Auch in Berlin glaubt Belfiore seine Violante erstochen zu haben, die sich beim Podestà als Gärtnerin Sandrina ausgibt. Gespielt wird auf einer schwarzen Bühne mit Stückvorhang, in der nur die Kostüme Rangunterschieden erkennen lassen und entfernt an die Rokoko-Zeit erinnern (Ausstattung: Reinhard von der Thannen). Über weite Strecken werden die Dialoge von einem neu eingeführten alternden Grafenpaar (Elisabeth Trissenaar, Markus Boysen) gesprochen, das die immerwährende Verbindung zwischen Mann und Frau symbolisieren soll. Eine stringent ablaufende Handlung bietet der Abend nicht (mehr), dafür viel (überflüssiges) Gerede, Plattitüden, manch sprachliche Peinlichkeit, aber wenigstens auch einige erheiternde Momente. Von Redundanzen wollten Neuenfels und sein Team Mozarts Werk eigentlich befreien.
Die musikalische Seite der Produktion kann die szenischen Mängel leider nicht wettmachen. Unter der Leitung von Christopher Moulds musiziert die Staatskapelle Berlin in kleiner Besetzung nur solide gepflegt. Die flache Akustik des Schillertheaters mag nicht ideal für eine Opernaufführung sein, aber eine Entschuldigung für konturloses Musizieren ist sie doch auch nicht. Erst im Schlussduett, der eigentlichen Nummer 27, zwischen Violante und Belfiore inspiriert Moulds die Musikerinnen und Musiker zu einem ausdrucksvolleren Spiel. Das hübsche Schlussbild erzeugt damit eine halb versöhnliche Wirkung, wenn das wieder vereinte Paar das Licht am Ende eines langen Tunnels schon vor Augen hat.
Aus dem Solistenseptett ragt Alex Penda –Alexandrina Pendatchanska – als koloratursichere Arminda hervor, die aus Wut über Belfiores Abwendung beim Erblicken der tot geglaubten Violante gleich sämtliche männlichen Geschlechtssymbole zu Orangen-Karottensaft vermixen will. Schon wenn Arminda die Orangen mit dem Messer halbiert, verzerren sich die Gesichter dreier Jünglinge aus dem zusätzlich integrierten Schauspielerensemble schmerzerfüllt. Doch auch die Abgabe ihrer „Karotten“ bleibt ihnen nicht erspart. Prominent besetzt ist die Rolle der Gärtnerin Sandrina alias Marchesa Violante Onesti mit Annette Dasch.
Stimmlich vielversprechend ist Stephanie Atanasov als Arminda liebender Edelmann Ramiro, die sich im Verlauf des Abends als liebende Ramira entpuppt. Die junge Schweizerin Regula Mühlemann, die im Salzburger „Labyrinth“ im letzten Sommer die junge Papagena sang, gefällt als Serpetta mit glockigem Sopran, die ihre Fremdheit im Haus des Podestàs durch ihr Schweizerdeutsch zu erkennen geben darf. Dem Contino Belfiore verleiht Joel Prieto Don-Ottaviohafte Züge, schenkt ihm aber auch seinen lyrischen Schmelz. Aris Argiris gibt Sandrinas Diener Nardo mit flüssiger Stimmgebung, aber darstellerisch blass. Stephan Rügamer schliesslich muss einen tuntigen Podestà im violetten Anzug spielen.
Wer nach diesem Abend noch ein weiteres Mozart-Experiment eingehen wollte, konnte dies am Sonntag (25.11) in der Komischen Oper. Hausherr Barrie Kosky hat dort „Die Zauberflöte“ inszeniert.