„Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug?“
REST DER WELT / ZÜRICH / MATHIS DER MALER
25/06/12 Alexander Pereira setzte mit Hindemiths „Mathis der Maler“ einen außergewöhnlichen Schlusspunkt ans Ende seiner Ära am Opernhaus Zürich.Von Oliver Schneider
Nachdem Alexander Pereira mit der Neuausrichtung der Pfingstfestspiele künstlerisch und ökonomisch schon eine erste Kostprobe davon abgegeben hat, was Salzburg in den kommenden Jahren erwarten darf, nähern sich seine 21 Zürich-Jahre endgültig ihrem Ende. Für die einen ist eine künstlerische Richtungsänderung überfällig, für die anderen schwingt die Sorge mit, dass in Zukunft auch an der Limmat vermehrt das verschriene „Regietheater“ Einzug halten könnte.
Blickt man auf alle Premieren der noch bis 8. Juli dauernden Spielzeit zurück, so kann man sagen, dass sie wohl eine der besten in der gesamten Ära Pereira war: Programmatische Leitlinien, die sich schon im Vorjahr abzeichneten, wurden weitergesponnen. Namen hielten das, was sie versprochen hatten. Ob das Publikum immer mitgezogen hat, ist eine andere Frage. Beim Blick im Zuschauerraum erspähte man nicht nur in den Folgevorstellungen oder bei Wiederaufnahmen oft leere Plätze, sondern sogar bei den Premieren.
Nach Pfitzners „Palestrina“, Wagners „Tannhäuser“ und den „Meistersingern“ lässt Pereira seinen Künstlerzyklus mit Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ ohne knalligen Paukenschlag, sondern nachdenklich enden. Nachdem für Hindemiths Musik im Nazi-Deutschland kein Platz mehr war, fand die Uraufführung 1938 im damaligen Stadttheater in Zürich, dem heutigen Opernhaus, statt. Ein geschichtsträchtiger Ort also für das Werk über den Renaissance-Maler Matthias Grünewald, in dem Hindemith die Stellung des Künstlers in einer unfreien Gesellschaft schildert. Soll der Künstler nur seinem Werk dienen? Und wie soll er mit der Pflicht zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung umgehen?
Hindemith hat neben diesen Fragen in das von ihm selbst verfasste Libretto auch seine eigene Situation einfließen lassen, nachdem er lange Zeit die Zeichen der Zeit in Deutschland negiert hatte. Dafür waren Eingriffe in die Biographie von Mathis Gothart Nithart, so der richtige Name Grünewalds, nötig.
Mathis, Maler des Kardinals und Erzbischofs von Mainz, hat sich zum Arbeiten in ein Kloster zurückgezogen, während draußen der Bauernkrieg tobt. Seine Selbstzweifel, ob dies der richtige Entscheid ist, nährt der aufständische Bauer Hans Schwalb. Mathis zieht mit den Bauern ins Feld. Die Sinnlosigkeit dieses Entscheids und seines Daseins überhaupt erkennend, erreichen ihn schließlich in einer Vision die Motive des Isenheimer Altars: Sein Hauptwerk schafft er bei Hindemith erst neun Jahre später als biographisch verbürgt und schließt damit sein künstlerisches Schaffen ab.
Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann konzentriert sich in seiner szenisch auf das Nötige reduzierten Inszenierung auf die Personenführung. Gespielt wird auf einer weißen uadratischen Fläche, die im Hintergrund mit einem schwarzen Halbrund begrenzt ist (Bühnenbild: Johannes Schütz). Die Kostüme von Victoria Behr orientieren sich an der Zeit der Handlung. Für Mathis‘ Visionen, in denen er sich als Heiligen Antonius und den Erzbischof als Heiligen Paulus sieht, vermischt Hartmann die Versuchung des Antonius mit Videos (Andi A. Müller) der Visionen.
Insgesamt eine einfache, aber wirkungsvolle Umsetzung, die die musikalische Seite des Abends unterstützt. Chefdirigent Daniele Gatti hält das Orchester des Opernhauses zu differenziertem Spiel an, wobei man sich Hindemiths auf Renaissance- und Barockmusik beruhendes Fundament sicherlich noch klarer herausgearbeitet vorstellen kann. Etwas zu kurz kommen dynamische Abstufungen, was möglicherweise der Akustik des Opernhauses geschuldet ist. Dafür erreicht Gatti eine starke innere Geschlossenheit und balanciert die Spannung zwischen Graben und Bühne sängerfreundlich aus. Mit dieser Premiere beendet er bedauerlicherweise sein kurzes Interregnum in Zürich. Zwischen ihm und dem Orchester hat sich hörbar ein gutes Einverständnis entwickelt, das nach einer Fortsetzung der Zusammenarbeit verlangen würde.
Fast keinen Wunsch lässt die Besetzung offen. Thomas Hampson verleiht dem von Zweifeln geplagten Maler Mathis eine Charakterzeichnung von bestürzender Eindringlichkeit und besticht mit seinem gerundeten Bariton. Reinaldo Macias findet in dem vor dem politisch-religiösen System kapitulierenden Kardinal und Erzbischof von Mainz eine weitere Idealpartie. Benjamin Bernheim, der an Pfingsten in Salzburg einen Erfolg in Massenets „Cléopâtre“ verbuchen konnte, überzeugt als zwischen den religiösen Fronten schlau agierender Wolfgang Capito, Rat des Kardinals. Emily Magee gibt gewohnt ausdrucksstark und mit kontrolliertem Vibrato die Tochter Ursula des Mainzer Bürgers Riedinger. Erwähnt seien noch Erin Caves als verblendeter Hans Schwalb und Sandra Trattnigg als seine Tochter Regina, die zuweilen aber zu Schärfen neigt. Der Chor des Hauses ist von Jürg Hämmerli gut vorbereitet.
Weitere Vorstellungen: 26., 28. Juni und 1. Juli. – www.opernhaus.ch