asdf
 

Blutiger Wagner, Cage für Kinder und zerlegte Passanten

REST DER WELT / HOLLAND FESTIVAL

14/06/12 Ein Streifzug über das Holland Festival 2012: Pierre Audis inszenierte in Amsterdam den „Parsifal“. Für Musils „Mann ohne Eigenschaften“ wird man sich neun Stunden Zeit nehmen müssen.

Von Jörn Florian Fuchs

Wer den indischstämmigen, global gut gebuchten Künstler Anish Kapoor für ein Bühnenbild engagiert, der weiß ziemlich genau, was er bekommt. Kapoor will das Publikum mit hübschen Op-Art Effekten überraschen, nicht mehr und nicht weniger.

Bei Pierre Audis neuem Amsterdamer „Parsifal“ sieht man im ersten Aufzug eine blutrote Felslandschaft, davor liegen, teilweise kaputte, Holzkreuze. Die Gralszeremonie findet auf der Rückseite dieses unwirtlichen Ortes statt, die Ritter stehen auf einem Gerüst, ganz oben thront Amfortas mit klaffender Wunde. Er hält sich ein Leintuch vor den Körper, das sich bald rot einfärbt und den gebannt darauf schauenden Männern wohl eine krude Art von Energie spendet – ein archaisches, pseudo-christliches Ritual. Der zweite Aufzug führt in die Klingsor-Welt, neben sehr bunten Blumenmädchen (Kostüme Christof Hetzer) hängt nun ein riesiger Zerrspiegel in der Bühnenmitte und gibt die jeweils vorbeilaufenden Protagonisten, mal auf dem Kopf stehend, mal in Einzelteile zerlegt, wieder. Durchaus nett anzusehen ist das. Beim Schlussakt wird plausibel, worum es Pierre Audi geht. Nun sehen wir eine große Wand mit kreisrundem Loch. Wenn Parsifal zur Erlösung schreitet, senkt sich erneut Kapoors Skulptur herab und damit scheint die Einheit der Symbol-Welt wieder hergestellt. Heilige Lanze und Schild (vulgo: Zerrspiegel) sind wieder vereint, Parsifal tötet Amfortas, worauf die Ritterschaft in einen langen (tödlichen?) Schlaf sinkt.

Ganz wunderbar waren die musikalischen Leistungen: Iván Fischer stand am Pult des Amsterdamer Concertgebouw Orchesters und dirigierte einen luftig-symphonischen Wagner, schlackenlos, unschwülstig. Petra Lang gab eine (klang)sinnliche Kundry, Christopher Ventris sang die Titelpartie mit müheloser Eleganz, dazu sehr textverständlich. Alejandro Marco-Buhrmester zeigte, wie man Amfortas ohne schroffes Vokalpathos leiden lässt.

Eine ganz andere Leidensgeschichte erzählten Janine Brogt (Libretto) und Robin de Raaff (Musik) in der Uraufführung „Waiting for Miss Monroe“. Noch einmal wird hier das Leben und Sterben der Monroe (mit Laura Aikin sensationell besetzt) schlaglichthaft erzählt, etwa in Begegnungen der Stilikone mit den Kennedy-Brüdern oder gar Clark Gable. Ein leicht surreales Stück, das die junge Regisseurin Lotte de Beer vor allem im zweiten Teil in schön fließende Bilder umsetzt.

Jenseits der großen Oper bietet das Holland Festival traditionell viel Platz für Experimentelles. Ein ganzes Wochenende war diesmal John Cage gewidmet, mit etlichen Gratiskonzerten und dem hübsch undidaktischen Projekt „Cage für Kinder“. Die Performance-Legende Marina Abramovi? zeigte diverse Arbeiten, darunter ein Video in schwarz/weiß, das die Künstlerin beim Versuch zeigt, eine Schale Milch festzuhalten und nichts zu verschütten, eine gefühlte Ewigkeit lang. Von weitem sieht das aus wie ein holländisches Interieur aus dem vorletzten Jahrhundert.

William Forsythe okkupierte gar den Amsterdamer Hauptbahnhof, Reisende und Passanten wurden per Live-Video in akrobatisch anmutende Wellenwesen zerlegt – eine Mischung aus Humor und bedrohlicher Atmosphäre.

Bis zum 28. Juni steht beim Holland Festival unter anderem noch ein Marina Abramovi?-Projekt von Robert Wilson auf dem Spielplan (das vorher am Theater Basel zu sehen ist), William Kentridge zeigt eine neue Kammeroper und für die ganz Hartgesottenen gibt es einen neunstündigen Musil-Marathon: der Belgier Guy Cassiers inszeniert den „Mann ohne Eigenschaften“ – eine durchaus gewagte Kombination.

Holland Festival: www.hollandfestival.nl
Touristische Informationen: www.holland.com
Hotelempfehlung: Ambassade (sehr zentral gelegen), www.ambassade-hotel.nl

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014