Manon ging auf Zeitreise
REST DER WELT / PARIS / RIGOLETTO, MANON
21/02/12 Das Opern-Jahr in Paris hat mit einer zwiespältigen Neuproduktion von Jules Massenets „Manon“ begonnen. Mit einer musikalischen Luxusbesetzung wartete man für „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi auf.Von Andreas Vogl
2012 gedenkt man des 100. Todesjahres von Jules Massenet (1842-1912). Nicholas Joel, Intendant der Opéra in Paris, entschied sich, gleich zu Jahresbeginn eine Neuinszenierung von „Manon“ zu präsentieren und lud eine der berühmtesten französischen Filmregisseurinnen ein: Coline Serreau („Milch und Schokolade“, „Pilgern auf Französisch“) machte bereits einen „Barbier von Sevilla“ in der Bastille-Oper, wurde nun aber sowohl von Publikum als auch von der französischen Presse eindeutig geschasst. Zusammen mit einer nur bedingt zufrieden stellenden Sängerbesetzung gab es keine denkwürdigen Massenet-Feierlichkeiten.
Das Problem lag nicht etwa bei den beeindruckenden und bombastischen Bühnenbildern des Ausstattungsteams. So zum Beispiel die riesige Freitreppe des ersten Aktes im Gasthof von Amiens oder die tropischen Pflanzensäulen im Cours-la-Reine Bild, die sich in Stein verwandeln und die gigantischen Kolonnaden der Kirche Saint-Sulpice darstellen. Undurchsichtig wird es, wenn Serreau versucht, durch einen bewussten Stilmix Modernität ins Spiel zu bringen. Die barock kostümierte Manon befindet sich in einem Coach-Bus der 1950er Jahre auf dem Weg ins Kloser, entflieht aber mit dem als Jahrhundertwende-Großstadt Dandy auftretenden Grafen Des Grieux auf einer Harley-Davidson. Sie verwandelt sich im Laufe der Oper in einen Vamp mit Lederkluft und knallrotem Kurzhaarschnitt, während ihr Cousin Lescaut von Anbeginn einen Punk mit Elektroschockfrisur und Metallkettenhalsband verkörpert. Im Schlussbild schneit es unentwegt auf die zur Deportation verurteilte, fast nackte Manon, bewacht von einem Römischen Legionär. Der gesellschaftliche Absturz des jungen Mädchens lässt sich plakativ allein anhand der Kostüme sehr gut nachvollziehen, aber die bunt gemischten Stile und komischen Einfälle (Rollschuhballett in der Kirche) lenken leider von der eigentlichen Geschichte ab.
Giuseppe Filianoti ist ein strahlender Tenor, eine der schönsten Stimmen, die es zur Zeit gibt. Als Des Grieux klingt er aber eng in der Höhe, seine italienische Färbung passt nicht zur edlen französischen Diktion von Musik und Sprache. Immerhin, die Traumerzählung des zweiten Akts war einzigartig auf Linie gesungen. Natalie Dessay verkörpert, allein durch Statur und Spiel, eine unglaublich kindliche Manon. Gesanglich bedeutet diese Rolle für die Lyoneserin mit Sicherheit eine Grenzerfahrung. Die Koloraturen und Spitzentöne gelingen perlend und effektvoll, bei eher lyrischen Passagen droht gelegentlich die Mittellage weg zu brechen. Die vielen gesprochenen Dialoge - „Manon“ ist eine Opéra Comique - erschweren es zusätzlich den Sängern mit der trockenen Akustik und Übergröße der Bastille-Oper zurechtzukommen. Der Dirigent Evelino Pidó und das Orchester der Opéra nutzen diese schlechten Voraussetzungen in dem riesigen Haus relativ gut, dennoch vermisste man viele Feinheiten in der Musik.
Ähnlich zwiespältig geriet die musikalische Neueinstudierung der sehr schönen und aufwendigen „Rigoletto“-Inszenierung von Jerome Savary aus dem Jahre 1996. Der Dirigent Daniele Callegari erzeugte im Orchestergraben einen Verdi-Sumpf mit stereotypischen Effekthaschereien. Ein behäbiger, langweiliger Sound, der auch den Sängern wenig Möglichkeit gab, sich zu entfalten. Dabei hatte man die beste verfügbare Besetzung für einen „Rigoletto“ zur Zeit auf der Bühne! Allen voran Zeljko Lucic (Macbeth im Salzburger Festspielsommer), der eine berührende und sängerisch großartige Leistung vollbrachte. Sein Rigoletto ist extrem lyrisch, manchmal verhalten, dabei sehr fokussiert mit edlem Ton. Ebenso die exzellente Gilda von Nino Machaidze, die ihr Pariser Operndebüt feierte. Das Duett am Ende des zweiten Aktes gemeinsam mit Lucic wurde zum Triumph. Piotr Beczalas Duca ist schönstimmig, kein Kraftprotz, sondern ebenfalls eher lyrischer Natur. Dennoch wird es wohl seine letzte Aufführungsserie in dieser Rolle sein, denn man merkt bereits, dass seine Stimme an Leichtigkeit verliert und zu schwereren Partien des Verdi-Fachs tendiert.