Johannisfest vor der Hochhaus-Skyline
REST DER WELT / ZÜRICH / MEISTERSINGER
23/01/12 Dreimal hatte Harry Kupfer die „Meistersinger“ zuvor schon inszeniert – zweimal in Berlin, einmal in Amsterdam. Am Sonntag hatte seine jüngste Deutung Premiere in Zürich. Souverän am Pult: Daniele Gatti.Von Oliver Schneider
Walter von Stolzings Werben um des Goldschmieds Pogner Tochter Eva lässt Kupfer zwar getreu seinen Grundsätzen konkret verortet in Nürnberg spielen. Allerdings nicht im Mittelalter, als die freie Reichsstadt ihre kulturelle und gesellschaftliche Blüte erlebte, sondern in der Nachkriegszeit. Kupfer und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch lenken mit der zerstörten Katharinenkirche auf der Drehbühne und der Stadt-Silhouette im Hintergrund den Blick auf eine Stadt, die für eine aufstrebende, an die alten Hoch-Zeiten anknüpfende Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und braunen Zwischenspiel steht. Von Aufzug zu Aufzug sieht man Nürnberg von neuem erblühen. Dass der Stadt trotz Hochhaus-Silhouette etwas vom altväterlichen, biederen Geist anhaftet, manifestiert sich nicht nur inhaltlich an der gehegten Tradition des Meistergesangs, sondern zusätzlich im Nachkriegs-Kostümmix (Yan Tax) sowie einem Maskenumzug am Johannisfest.
Kupfers Gesellschaftsanalysen mögen in früheren Jahren mehr Biss gehabt haben, manche Elemente erscheinen heute aufgesetzt, zum Beispiel Neonazis, die in der Prügelfuge die Gewalt provozieren. Was er aber einem Großteil der jungen Regiegarde voraus hat, ist seine Fähigkeit, die Protagonisten und den Chor (gut einstudiert von Ernst Raffelsberger) zu realen, berührenden Persönlichkeiten werden zu lassen. Sixtus Beckmesser (prägnant Martin Gantner) ist nicht einfach der Inbegriff von Pedanterie und spießbürgerlicher Engstirnigkeit, sondern ein differenzierter, kluger Charakter. Der Stadtschreiber durchschaut Sachs’ heimliche Liebe zur selbstbewussten Eva schon am Ende der Singschule. Er ist es auch, der Sachs im Schlussjubel die versöhnende Hand reicht.
Hans Sachs als Spiellenker ist bei Rollendebütant Michael Volle bestens aufgehoben. Er steht auch den dritten Aufzug ohne Konditionsschwächen oder Intonationstrübungen sicher durch und besticht mit lebendigem Parlando. Für Sachs’ deutschtümelnde Schlussansprache findet Kupfer eine diskussionswürdige Lösung, indem der Schusterpoet eine Holzfigur des am Johannisfest geehrten Täufers enthüllt und so der Rede die unterschwellige politische Deutungsmöglichkeit nimmt.
Neben Volle und Gantner überzeugt immer noch Matti Salminen, der den Pogner mit seiner sonoren Autorität ausstattet. Schwieriger sieht es mit Roberto Saccàs Stolzing aus, der sich bis zum Schluss von der bürgerlichen Meistersinger-Gesellschaft distanziert. Er hatte am Premierenabend im ersten Aufzug mit unsteter Stimmführung zu kämpfen. Noch ist der Stolzing keine Idealpartie für ihn. Ähnliches gilt für die Eva von Juliane Banse, für die die dramatischen Anforderungen im dritten Aufzug eine Schuhnummer zu groß sind.
Auf der musikalischen Habenseite zu verbuchen sind hingegen Wiebke Lehmkuhls kräftige Magdalene und Peter Sonn, der die schwierige Partie des Lehrbuben David mit Sicherheit phrasiert. Nur in der Lehrbubenszene hat er seine Mühe, was am zu schleppenden Tempo von Daniele Gatti liegt, der in Zürich seine ersten „Meistersinger“ dirigiert. Doch bis auf diese Unebenheit bietet der Chefdirigent des Hauses eine souveräne Leistung. So differenziert wie bei Gatti hört man Holz und Blech in den Vorspielen und in der Beckmesser-Pantomime selten. Auf der Festwiese steuert Gatti das musikalische Geschehen kontrolliert und akzentuiert, lässt ein Quäntchen Pathos aufkommen und rundet den insgesamt flüssigen, über weite Strecken leichten musikalischen Gesamteindruck mit strahlendem Jubelklang ab.