Synagogen und Holzkirchen
HINTERGRUND / UKRAINE / KULTURSCHÄTZE (3)
15/03/22 Einen mehr als unwirtlichen Tag hatte ich mir ausgesucht für einen Abstecher in die Kleinstadt Drohobytsch, gute achtzig Kilometer südwestlich von Lemberg/Lwiw. Einer jener Orte, die in der Geschichte der Judenverfolgung in der Nazi-Zeit in die Geschichtsbücher eingegangen ist.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein Ort mit reicher Geschichte: Die Kufen im Stadtwappen erinnern daran, dass hier im ausgehenden Mittelalter Salz gewonnen wurde. Später interessierten wirtschaftlich eher die Erdölvorkommen – in der Monarchiezeit gab es in Drohobytsch nicht weniger als 26 konkurrierende Ölgesellschaften!
Traurige Berühmtheit erlangte das Ghetto, das hier im Zweiten Weltkrieg eingerichtet wurde. In der Zwischenkriegszeit gehörten rund vierzig Prozent der Bewohner der Jüdischen Gemeinde an.
Ich war aber nicht deswegen nach Drohobytsch gefahren, sondern wegen zweier famoser Holzkirchen, der um 1500 erbauten St. Georgs-Kirche und der Heiligkreuzkirche aus dem frühen 17. Jahrhundert. Die St. Georgs-Kirche stand ursprünglich in einem Dorf in der Nähe und wurde – durchaus erstaunlich für die Zeit – 1656 an den jetzigen Standort übertragen. Sie ist eine jener sechzehn Holzkirchen aus der Karpatenregion (acht in Südostpolen, acht in der Ukraine), die seit 2013 als UNESCO Weltkulturerbe gewürdigt werden. Jetzt ist sie eingebunden ins örtliche Freilichtmuseum.
Mitte April schon, trotzdem viel Neuschnee. Verblüffung bei der Ankunft mit dem Personenzug: ein gut erhaltener Jugendstil-Bahnhof in bester k&k-Tradition. Auch kleinen Orten im ehemaligen Kronland Galizien sieht man bis jetzt ihr einstiges Prosperieren an, als sie zur Habsburgermonarchie gehörten. Im Ortszentrum die hier übliche Mischung aus Kirchen unterschiedlicher Religionen: Backstein-Spätgotik die ehemalige katholische Schlosskirche mit einem gedrungenen frei stehenden Glockenturm. Barock im Kern ist die orthodoxe Kathedrale. Das Prunkstück der Stadt ist die in der Nazi-Zeit und danach zwar zweckentfremdete, bis vor kurzem noch arg desolate, aber immerhin als Bauwerk unzerstörte Choral-Synagoge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis 1918 war sie die Zentralsynagoge für das Kronland Galizien, was die Bedeutung der jüdischen Bevölkerungsgruppe hier unterstreicht. Das Gebäude wurde in den 1990er Jahren der jüdischen Gemeinde zurückgegeben und vor einigen Jahren proper herausgeputzt. Was für ein Unterschied zur Großen Synagoge in Brody, dem Geburtsort des Schriftstellers Joseph Roth. Die ist nur mehr eine Ruine. Überhaupt wirkt Brody, in der Geschichte eine blühende Wirtschafts- und Handelsstadt mit fast ausschließlich jüdischer Bevölkerung, gegenüber Drohobytsch eher morbid, was auch an den zerstörungen im Zweiten Weltkrieg liegt.Die beiden Städte sind in etwa gleich weit von Lemberg entfernt, Brody in leicht nordöstlicher Richtung.
Aber jetzt zu den Holzkirchen von Drohobytsch. Der Weg war leichter gefunden als – im nun dichteren Schneetreiben – der Schlüsselgewaltige aufgestöbert. Das Besondere dieser beiden Kirchen sind die Gemälde im Inneren, gemalt direkt auf die Holzbalken und Bretterwände. Eindrucksvoll nicht nur ob der Zimmermannsarbeit die drei mit Schindeln gedeckten Kuppeln der St. Georgs-Kirche. Da wird man noch am ehesten an jenes Meer von Zwiebeltürmen orthodoxer Kirchen erinnert, die das „goldene Kiev“ bestimmen. Hier natürlich eher bäuerliche Architektur.
Gerade wenn man die religiösen Bauwerke im Riesenland betrachtet, wird einem bewusst, dass es die Ukraine als einheitlichen Kulturraum nicht gibt. Es geht nicht nur eine Sprachgrenze – im Prinzip entlang des Flusses Dnjepr – durchs Land. Westlich wird mehrheitlich Ukrainisch gesprochen, von etwa 24 Millionen Menschen, im Osten Russisch. Der Unterschied ist im Schriftbild auch für nicht Sprachenkundige rasch auszumachen: Im Ukrainischen wird das „I“ mit dem lateinischen Buchstaben geschrieben, im Russischen als „H“.
Auch in der Religion findet man gravierende Unterschiede. In den Provinzen Lviv, Ivano-Frankiwsk und Ternobil im Westen des Landes spielen die griechisch-katholische und die römisch-katholische Kirche die größere Rolle, mit Prozentzahlen von gemeinsam knapp über fünfzig Prozent. Da wirkt als der Jahrhunderte währende polnische Einfluss nach. Sonst spielen die mit Rom verbundenen Kirchen nur eine untergeordnete Rolle, mit kaum wo über ein, zwei Prozent der Gläubigen.
Zwischen den beiden orthodoxen Kirchen des Landes herrscht schon seit Jahren ein offener Religions-Krieg: immerhin hat der Moskauer Patriarchen mit der Fusionierung zweier orthodoxer Gruppen zur „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ unter dem Kiewer Patriarchen einen enormen Verlust an Kirchenvolk und damit an Einfluss hinnehmen müssen. Aus Moskauer Sicht schlug die Anerkennung einer eigenständigen ukrainischen orthodoxen Landeskirche durch den Ökumenischen Patriarchen von Istanbul (2018) dem Faßß den Boden aus. Das hat die Moskauer Bruderkirche bis heute nicht akzeptiert. Darin gründet, dass in der Russisch-orthodoxen Kirche gerade jetzt besonders ambitionierte Putin-Versteher und Kriegs-Befürworter versammelt sind.