Darf man im Konzertsaal tanzen?
DONAUESCHINGER MUSIKTAGE
21/10/19 Ein Motto gab es bei den heurigen Donaueschinger Musiktagen nicht, auch keine beim Blättern durchs Programmbuch erkennbare Dramaturgie. Doch schon die ersten Konzerte belehrten einen – ganz undidaktisch – eines Besseren. Es scheint sich in der Neuen Musik, gesehen durch die Brille des künstlerischen Leiters Björn Gottstein, wirklich etwas zu tun.
Von Jörn Florian Fuchs
Das derb direkt Politische so mancher Jahrgänge ist ebenso vorbei wie die früher bisweilen verkrampft kopflastige Lust und Sucht nach dem sogenannten Materialfortschritt, nach möglichst komplexen Klängen, die einem schon auf dem Notenpapier Angst machen. Gab es da nicht mal den britischen Komponisten, der ein brillantes Streichquartett absichtlich über die Grenze des Spielbaren führte? Oder einen Tonkünstler, der mit viel Radau und sogar einem echten Müllwagen für Revolution im Schwarzwald und weit darüber hinaus sorgen wollte? Erinnerungen... Jetzt ist 2019 und das geheime Motto etlicher Werke lautet: neue Eingängigkeit, mit deutlichen Tendenzen zum Tanzbaren.
Man nehme etwa den iranischen Komponisten Sote, der mittels traditioneller Instrumente und Elektronik rhythmisch-brüchige Klangwelten schafft, ein imaginäres 'Parallel-Persien' voller Konflikte, aber auch mit traumschönen Ruhemomenten – das Tanzbein zuckt, kommt jedoch immer wieder arg ins Schlingern. Mit ganz anderen Tönen arbeitet der Däne Simon Steen-Andersen, zugleich liefert er den wohl Understatement-haftesten Stück-Titel dieser Saison.
Wenn man „Trio“ liest, denkt man naturgemäß an hübsche Kammermusik mit eben drei Instrumenten, doch Steen-Andersen lässt das SWR Symphonieorchester, die SWR Bigband, das SWR Vokalensemble sowie Live-Elektronik mit gleich drei Klangregisseuren aufeinander los, dazu gibt es auch noch Videos. „Trio“ reist durch die Geschichte der diversen SWR-Klangkörper, historische Dokumente werden mit live gespielten Passagen klug verschaltet. Ein wilder, manchmal humorvoller, technisch perfekt gemachter Trip!
Neben zahlreichen neuen Namen gab es dieses Wochenende auch ein paar Klassiker, etwa Mark Andre, der in seinem aktuellen Werk wie so oft mit filigransten Strukturen arbeitet und den wagemutigen Versuch unternimmt, genuin christlich-religiöse Motive – und Hoffnungen – musikalisch wenn nicht auszudeuten, so doch anzudeuten.
Zum Festival gehört traditionell die 'Konzertsaal-Transzendenz', diesmal ging es etwa in eine Hotelbar, dort entstand ein „Donauparadies“ mit schöner Tapetenmusik, aber auch wunderbar halbironischen Auftritten. So erfreuten drei singende, sägende Mädels in sich allmählich verändernder Tracht. Zur Kulisse gehörten auch Mini-Fontänen und Nebelschwädchen in mehreren das Etablissement üppig umgurtenden Aquarien. Dort nahmen Goldfische das Geschehen eher gelassen hin, einige empfindsamere Kois wurden hingegen einen Stock tiefer, in ein Bassin nahe den Toiletten verfrachtet. Bastian Zimmermann, Michael Rauter und Aliénor Dauchez waren die überaus kreativen Köpfe dieser schmissigen Chill-Out-Zone.
Zu Kirsten Reeses performativer Installation „Neglou“ durfte man indes nur in Badesachen kommen, im Becken einer Reha-Klinik gab es wirbelnde Über- und Unterwassermusik. Reese zählt zu den interessantesten Klangtüftlerinnen, ihre Projekte pusten Kopf und Ohren immer auf sehr sinnliche Weise ordentlich durch.
Und sonst? Ach ja, man stieß noch auf einen Computer als Kurator, doch seine Auswahlkriterien für die zu spielenden Klavierstücke blieben eher im Trüben. Dafür strahlte das Festival im Festival des Duos Herbordt/Mohren ziemlich hell. Neben einem performativen Parcours gab es immer wieder klitzekleine Uraufführungen, die in die großen Konzerte hinein geschmuggelt wurden. Dadurch fielen sich die Musiktage gleichsam selbst ins Wort – beziehungsweise in den Klang.