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Zu viel oder zu teuer?

LUCERNE FESTIVAL

19/09/18 Mit einer Auslastung von 89 Prozent ging am vergangenen Sonntag (16.9) das Lucerne Festival Sommer zu Ende. Im zweiten Teil stehen traditionell die Gastorchester im Mittelpunkt. Neben gemeinsamen Produktionen mit dem Luzerner Theater und Auftritten des Orchesters der Lucerne Festival Academy.

Von Oliver Schneider

Mitten in der Residenz des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam schneite die dürre Mitteilung der Festspielleitung herein, dass Matthias Pintscher, Principal Conductor des Orchesters der Lucerne Festival Academy, aus persönlichen Gründen nicht in der Lage sei, seinen weiteren Verpflichtungen im Rahmen der Festival Academy nachzukommen. Das ließ Raum für Spekulationen. Zum Glück ebbte die Gerüchtewelle schnell ab, so dass man sich wieder aufs Künstlerische konzentrieren konnte. Jaehyuck Choi und Ruth Reinhardt sprangen ein, so dass Karlheinz Stockhauses „Gruppen“ von der Festival Academy unter Choi beziehungsweise Reinhart gemeinsam mit dem London Symphony Orchestra unter Simon Rattle aufgeführt werden konnte. Man feierte Stockhausens 90. Geburtstag mit einer ihm gewidmeten Programmschiene.

In Amsterdam hatte man sich nach Vorwürfen von Musikerinnen von Daniele Gatti getrennt, so dass das Orchester nun mit „Einspringern“ gastieren musste. Wobei das Wort bei beiden fast schon eine Beleidigung ist: Manfred Honeck und Ehrendirigent Bernard Haitink kommt das Prädikat „festspielwürdig“ wohl zu. Honeck übernahm das geplante Programm unverändert, so dass die Zuhörer im nicht ausverkauften Saal nach einem füllig-warmen Meistersinger-Vorspiel zum dritten Aufzug von Wagners Oper auch Alban Bergs Altenberg-Lieder erleben konnten. Bei der über weite Strecken kammermusikalischen Begleitung trat Annett Fritschs Sopran leuchtkräftig und wortdeutlich hervor. Bei voller Besetzung fehlt es ihrem Sopran (noch) an Substanz, vor allem im tiefen Register.

Bruckners Dritte in der Nowak-Fassung spielte das niederländische Top-Orchester hingegen nicht mehr als solide und routiniert. Es fehlte der für Bruckner unerlässliche Bogen. Was Weitblick und Bogen über die monumentale Architektur bei Bruckner heißen, wie man die Spannung über die Generalpausen hält, das haben dann die Wiener Philharmoniker zwei Tage später unter Franz Welser-Möst gezeigt. Wie in den gar nicht lang erscheinenden Generalpausen Kraft geschöpft wird, um die blockhaften Steigerungen mit aller Ruhe aufzubauen. Welser-Möst steuerte von Anfang an auf das Finale hin zu, dessen Reprise und Coda zu einer aufwühlenden Schlussapotheose gerieten. Freundlicher Applaus im fast vollen Saal: Ein bisschen mehr hätten die Protagonisten für diese Leistung verdient.

Das war am folgenden Tag nach dem zweiten Residenzkonzert der Wiener anders, obwohl die Reihen deutlich gelichteter waren. Aber Brahms’ Zweite ist auch um einiges zugänglicher als Bruckners intellektuelle Fünfte und fordert geradezu zu Jubel heraus. Sollte man im Vorfeld auch gedacht haben, dass Brahms’ Zweite und vor der Pause Dvořáks Cellokonzert ein typisches Tourneeprogramm sei, so wurde man in Luzern eines Besseren belehrt. Bei Brahms einerseits ob der aufwühlenden, impulsiven Leidenschaft, die sich von Welser-Möst auf die Musikerinnen und Musiker übertrug. Und andererseits, weil Welser-Möst die Zuhörer so subtil in das musikalische Geflecht hineinhören liess.

Der Solist in Dvořáks Cellokonzert war Kian Soltani, der Ende August in Salzburg mit den beiden Barenboims im Mozarteum gespielt hatte. Soltani ist der diesjährige Preisträger des „Credit Suisse Young Artist Awards“, der alle zwei Jahre vom Lucerne Festival, den Wiener Philharmonikern, der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und der Schweizer Bank vergeben wird. Der 26-jährige Cellist aus Bregenz überzeugte neben seiner technischen Brillanz noch viel mehr mit seiner Fähigkeit, in den romantisch-verträumten Momenten genauso wie in den leidenschaftlichen in die Seelen der Zuhörer vorzudringen. Ganz selbstverständlich bettete er sein Spiel in den Gesamtklang ein und trat in lebendige Dialoge mit den Holzbläsern. Karl-Heinz Schütz, Martin Gabriel und Daniel Ottensamer wussten die Chance zu nutzen. Als Zugabe spielte Soltani gemeinsam mit der Cellogruppe und einem Bassisten ein eigenes Arrangement von Dvořáks Lied „Lasst mich allein in meinen Träumen gehen!“, das der Komponist in Gedanken an seine Jugendliebe und Schwägerin Josefina Kounicová geschrieben und im zweiten Satz des Cellokonzertes zitiert hat.

Auch vor Bruckners „Fünfter“ gab es ein Cellokonzert, das erste von Haydn, gespielt von Sol Gabetta. Soie war vor 14 Jahren Gewinnerin des „Young Artist Awards“, heuer als „artiste étoile“ in Luzern. Sie fand sich mit den Philharmonikern in kleiner Besetzung zu harmonischem Spiel zusammen – aber auch nicht mehr. Anders als die Wiener und die Gäste aus Amsterdam gestaltete Gabetta auch Programme rund um das heurige Festivalthema „Kindheit“, zu dem passend Werke wie Ravels „L’Enfant et les Sortilèges“ und Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ aufgeführt wurden.

Aus Amerika war diesmal nur das Boston Symphony Orchestra unter seinem Chef Andris Nelsons angereist. Am zweiten Abend boten sie mit Gustav Mahlers Dritter, seiner musikalischen Schöpfungsgeschichte mit dem sinnlichen Liebesfinale, einen letzten Festspielhöhepunkt. Der erste Satz mag noch etwas zu stark als Puzzle dahergekommen sein. Dafür war wirklich jedes Detail – auch dank der Saalakustik – zu hören. Ein dunkel grundiertes Klangbild entstand dank den Celli rechts vom Dirigenten. Das Leichtfüßige des tänzerischen zweiten Satzes stellte sich im Laufe des Satzes ein, während das Scherzo von den Kollegen aus Wien nicht wienerischer, altösterreichischer hätte gespielt werden können. Susan Graham blieb im Altsolo „O Mensch! Gib acht!“ unscheinbar, die Chorpartie im fünften Satz übernahmen die Damen des Gewandhauschores und der Gewandhaus-Kinderchor. Es gab zu Recht Standing Ovations für eine großartige Leistung der Musiker. Aber auch dieses Konzert war leider nicht ausverkauft. Sind die Preise in Luzern mittlerweile auch für Schweizer zu hoch oder besteht schlicht ein Überangebot?

Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker werden die Fünfte Sinfonie von Bruckner auch in Wien spielen, am 8. November im Musikverein, am 9. November im Konzerthaus.
www.lucernefestival.ch
Bilder: Lucerne Festival / Priska Ketterer (2); Patrick Huerlimann (2); Elias Jerusalem (1)

 

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