Wagner, Emile Zola und die Loreley
REST DER WELT / DÜSSELDORF / DAS RHEINGOLD
26/06/17 „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“, so beginnt Heinrich Heines Gedicht „Die Lore-Ley“. Und damit lässt in der Deutschen Oper am Rhein Loge den Vorabend der Ring-Tetralogie beginnen, bevor das „Rheingold“-Vorspiel langsam im Graben anschwillt.
Von Oliver Schneider
Spätestens seit Patrice Chéreaus Jahrhundertring gehören Inszenierungen, in denen Wagners eigene Epoche im Kleid des Mythos zumindest mit zum Thema gemacht wird, zum Bühnenalltag. Dietrich W. Hilsdorf geht aber jetzt in Düsseldorf beim jüngsten deutschen Ring-Projekt noch einen Schritt weiter, weil er „Das Rheingold“ nicht nur als Collage eines sich emanzipierenden und später selbst unter Druck geratenden Bürgertums erzählt, sondern um Gedanken aus Émile Zolas Familien-Romanzyklus um die Rougon-Macquart anreichert. Den Vorabend der Tetralogie siedelt er ansatzweise in Paris an.
Im eleganten roten Seidenanzug eines Pariser Bourgeois im 19. Jahrhundert tritt Loge (Norbert Ernst) auf, der von Vergnügen zu Vergnügen taumelt, finanziell vielleicht schon längst ruiniert ist und nur noch den äußeren Schein wahrt. Dass bei Familie Wotan auch vieles mehr Schein als Sein ist, symbolisiert das vergoldete Bühnenportal (Bühne: Dieter Richter). Vieles ist in dieser Welt nur noch Theater. Die Rheintöchter sind im besseren Fall Kurtisanen (kräftig und sehr wortdeutlich Anke Krabbe, Maria Kataeva, Ramona Zaharia), mit denen sich Loge nur zu gerne vergnügt. Familie Wotans Heim hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Der Göttervater selbst ist gleich auf beiden Augen sehschwach, die kleinen Götter Donner, Freia und Froh (sehr erfreulich Torben Jürgens, Sylvia Hamvasi, Ovidiu Purcel) sind trotz zeitgenössischer Kleidung, aber mit den bekannten Requisiten (Kostüme: Renate Schmitzer) konventionell gezeichnet.
Nach Nibelheim geht es durch eine Türe unter einem Spieltisch. Für das Nachtalbenreich greift Hilsdorf auf den Goldrausch an der amerikanischen Westküste im 19. Jahrhundert zurück. Alberich ist ein schmieriger Goldschürfer, der längst so mächtig ist, dass andere wie Sklaven für ihn arbeiten. Auch sein Bruder Mime muss unter seiner Gier und seinen Machtgelüsten leiden. Der junge Schweizer Cornel Frey lässt schon das Verschlagene von Siegfrieds Ziehvater durchschimmern. Die noch schlummernde revolutionäre Gefahr für die Bürger und die Parvenüs zeigt sich, wenn die sich schindenden Knechte Alberichs mit Getöse die mit Gold gefüllten Loren durch die Wände stoßen.
Zurück im Haus Wotan dämmern Fricka (durchschlagskräftig und mit matronenhafter Präsenz) Renée Morloc & Co. vor sich hin – die große Zeit des Bürgertums scheint sich schon dem Ende zu neigen, weil die Bauhandwerker Fasolt und Fafner als Vertreter einer Unterschicht (Bogdan Taloş als gutmütigerer Fasolt und Thorsten Grümbel als rascher korrumpierbarer Fafner) –, die bis zur Auszahlung ihres Lohns die immer wieder Kraft spendende Freia als Pfand genommen haben. Die Antipoden Alberich und Wotan, die sich in ihrem Machtstreben gegenseitig behindern, sowie den Spielmacher Loge hat Hilsdorf mit den Protagonisten präzise erarbeitet. Und es ist auch nach dem Rheingold schon klar, dass Wotan und seiner Familie inklusive Nachkommenschaft keine rosige Zukunft bevorsteht.
Die Düsseldorfer Symphoniker spielen souverän, als ständen sie erst am Beginn einer neuen Saison. Man hat den Eindruck, Axel Kober habe sich bei seinem Dirigat von Kirill Petrenkos Bayreuther Ring-Dirigaten inspirieren lassen, so schlank, flüssig und transparent und damit ideal für den Konversationston des Rheingolds wird hier musiziert.
Sängerisch hat man in Düsseldorf ein Ensemble zusammengestellt, das sich mit solchen an noch größeren Häusern messen kann. Maßgeblichen Anteil daran hat Norbert Ernst als auch Bayreuth-erfahrener Loge. Perfekt ist seine Diktion, überzeugend seine Charakterisierung des Auslösers des Untergangs der Götter. Von Habgier und Rücksichtslosigkeit charakterlich durch und durch verdorben ist Michael Kraus‘ Alberich, heldenbaritonal-kräftig und als von Anfang an schwache Persönlichkeit gibt Simon Neal den Wotan. Nur Susan Maclean als aus der Tiefe emporgefahrene Erda wirkt ungewohnt blass.