Ganz wie im echten Märchen
REST DER WELT / GENF / LA DONNA DEL LAGO
09/05/10 Jahrelang ruht ein Meisterwerk vergessen in einer Schatztruhe, doch wenn eine Sängerin wie Joyce DiDonato es in ihr Repertoire aufnimmt, folgen gleich zwei Neuinszenierungen hintereinander.
Von Oliver Schneider
Die Rede ist von Rossinis, 1819 in Neapel uraufgeführter Opera seria „La Donna del Lago“. Den Beginn dieser hoffentlich dauerhaften Renaissance des auf einem Vers-Epos von Sir Walter Scott beruhenden Werks machte das Grand Théâtre in Genf. Im Juni folgt die Pariser Nationaloper.
Im Schottland des 16. Jahrhunderts, vor dem Hintergrund des Freiheitskampfes der Hochländer, lieben drei Männer die junge Elena, die mit ihrem vom Hof verstoßenen Vater und ehemaligen Lehrer des schottischen Königs bei den Rebellen lebt. Versprochen ist sie dafür aus Dank deren Anführer Rodrigo, doch sie liebt Malcolm, und zu allem Unglück kommt noch der König dazwischen.
Ein echtes Märchen, und genauso inszeniert der Belcanto-erfahrene Christof Loy den Abend. Elena ist ein junges Mädchen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das von einem schöneren Leben träumt. Projektionsfläche dafür ist zunächst eine Bühne auf der Bühne, wo Prospekte schottisches Loklakolorit verströmen. Der in den Wäldern jagende König, der sich gegenüber Elena als Uberto ausgibt, ist das Abbild eines modernen Herrschers. Die Realität um Elena, das ist ein ländlicher Gemeindesaal, wo Theater gespielt wird, Chorproben stattfinden und derbe Feste gefeiert werden. Romantisch geht es dann wieder zu Beginn des zweiten Akts zu, wenn Uberto von den Wilis auf Spitzenschuhen umschwärmt wird.
Loy spitzt den Kerngehalt des Werks zu, was er in einem im Programmheft abgedruckten lesenswerten Interview musikalisch begründet: Von den drei Liebhabern eliminiert er kurzerhand Malcolm und mutiert die Hosenrolle zur internen Stimme Elenas. Die wirklichen Liebesszenen spielen sich nämlich zwischen Giacomo und Elena ab, deren Traum von einer besseren Welt am Ende wahr wird: Giacomo macht sie zu seiner Königin. So wird die im ästhetischen Einheitsbühnenbild von Herbert Murauer angesiedelte Geschichte zu einem zeitlosen Kindheitserlebnis mit psychologischem Hintergrund.
Beim Genfer Publikum ist Loy damit leider auf Unverständnis gestossen. Bleibt zu hoffen, dass das Wiener Pubikum - Koproduktionspartner ist nämlich das Theater an der Wien - angemessener reagieren wird. Frenetisch gefeiert wurden hingegen am Premierenabend die Protagonisten und der tadellos einstudierte Chor. Allen voran natürlich Joyce DiDonato, die der Elena nichts schuldig bleibt. Glaubwürdig gestaltet sie den Wandel vom verträumten Mädchen zur strahlenden Königin. Stimmlich überzeugt sie in den vom romantischen Duktus geprägten Momenten genauso wie in ihrem von Fiorituren gespickten Schlussrondo in feinster Belcantomanier. Daneben hat es Luciano Bothelo als Giacomo schwer, schlägt sich aber wacker durch die hoch liegenden Koloraturen und gefällt vor allem beim Aussingen der schönen Kantilenen. Gregory Kunde gibt den Widersacher Rodrigo mit lodernder Glut, Impulsivität und immer noch eindrücklicher Geläufigkeit in der Stimme. Mariselle Martinez in der Contralto-Partie Malcolm bietet schliesslich Rossinische Gesangsakrobatik pur.
Paolo Arrivabeni am Pult des Orchestre de la Suisse Romande sorgt nach verhaltenem Beginn vor allem im ersten Akt für die nötige romantische Ambiance und im zweiten Akt für Belcanto-Brio. Er bringt die farbigen Facetten des Werks zum Leuchten, in dem Rossini lustvoll experimentierend den Weg zum Musikdrama einschlägt.
Weitere Aufführungen: 9., 11., 14. und 17. Mai, www.geneveopera.ch