Keine Chance für die Liebe
REST DER WELT / MÜNCHEN / LA FAVORITE
28/10/16 Die Bayerische Staatsoper bringt als erste Neuproduktion der Saison Gaetano Donizettis „La Favorite“ in einer Lesart von Amélie Niermeyer heraus. Das ausgezeichnete Protagonistenquartett wird von Matthew Polenzani und Elīna Garanča angeführt.
Von Oliver Schneider
Zu den düsteren, wuchtigen Klängen des Vorspiels stehen sich im dichten Bühnennebel eine Frau und ein Mann auf der noch leeren Bühne gegenüber, die für einander entbrennen. Doch schnell schieben sich von allen Seiten graue Wände heran. Sie stehen für die Aussichtslosigkeit der Liebe zwischen den beiden. Aussichtslos, weil Fernand eigentlich ins Kloster eintreten will und er die strengen Moralvorstellungen der katholischen Kirche zur einzig gültigen Lebensmaxime für sich erhoben hat – die Handlung spielt eigentlich im 14. Jahrhundert. Aussichtslos auch, weil Léonor die Mätresse des Königs ist und ein Konflikt mit König Alphonse so vorprogrammiert ist.
Auf den ersten Blick scheint La Favorite eine der verworrenen Dreiecksgeschichten der Operngeschichte zu bieten. In München war sie über 100 Jahre nicht mehr zu sehen. Donizetti benutzte drei frühere Werke bzw. Fragmente als Grundlage für das 1840 in Paris uraufgeführte Werk. Herausgekommen ist eine zutiefst pessimistische Sicht auf Gesellschaft, Staat und Kirche.
Regisseurin Amélie Niermeyer und ihr Regieteam schaffen für Handlung und Rahmen kluge Bilder für einen berührenden, packenden und aktuellen Opernabend. Hinter den grau scheinenden, eigentlich aber transparenten Wänden ist die kirchliche Macht immer wieder sichtbar: mit dem beherrschenden Kreuz in der Mitte und Marienstatuen als Bild für die reine Frau, die Léonor durch die bigotten Augen der Gesellschaft in Businessanzügen oder moderner Alltagskleidung (Kostüme: Kirsten Dephoff) als Spiegel vorgehalten wird (Bühne: Alexander Müller-Elmau).
Vom Schauspiel kommend – Niermeyer leitet das Thomas Bernhard Institut für Schauspiel und Regie am Mozarteum – interessiert sich die Regisseurin für die Charaktere der Protagonisten und ihre Interaktionen. Fernand ist ein impulsiver junger Mann, der sich allem mit Haut und Haaren verschreibt. Erst der Kirche, dann der Liebe zu Léonor, die er in seiner Blindheit zu einer zweiten Maria emporstilisiert, bis sein Weltbild zusammenfällt. Matthew Polenzani gelingt ein szenisch intensives Rollenporträt, dem sein Gesang vor allem in den Pianostellen ebenbürtig ist.
So wie Fernand befindet sich auch König Alphonse in einer inneren Not, denn er wird von der Kirche unter Druck gesetzt, seine Mätresse zu verstoßen. Und die Kirche braucht Alphonse, um ihre Macht zu erhalten. Indem er Fernand mit Léonor verheiratet, glaubt er, das Problem für den Schein zu lösen. Bis er erkennt, was er damit ausgelöst hat. Markus Kwiecin mit eleganter Höhe in der Stimme gibt den Herrscher zunächst fast schon herablassend, bis die Maske fällt und ein Häufchen Elend auf dem Ehrensessel zurückbleibt.
Zwischen den beiden Männern steht Léonor, die allein durch die Präsenz von Elīna Garanča von Anfang an als eine selbstbewusste Frau charakterisiert ist. Musikalisch gibt ihr Donizetti erst im dritten Akt eine große Szene, in der Garanča mit der vokalen Fülle und Rundung ihres Mezzosoprans imponieren kann. Sie will den Anfeindungen und Erniedrigungen trotzen und ihre Liebe zu Fernand ausleben. Das Feuer zwischen ihr und Alphonse ist ohnehin erloschen, was Niermeyer und Choreograf Ramses Sigl in der Ballettmusik im zweiten Akt zeigen: Alphonse und Léonor vor dem imaginären TV-Gerät im Zuschauerraum. Während sie sich meistenteils langweilt und über den Sinn ihres Lebens nachdenkt, schlüpft er in die Rolle seines Western- oder Degenhelden, fummelt mal an seiner Partnerin herum, zückt aber noch lieber die Pistole oder den Degen.
Ähnlich dem Verdischen Grossinquisitor – Vorbild war allerdings der Bertram in Meyerbeers „Robert le Diable“ – ruft schließlich der Prior Balthazar von Santiago de Compostela die Beteiligten immer wieder zur Räson. Mikas Kares gibt ihn mit substanziellem Bass. Joshua Owen Mills ist der intrigierende Höfling Don Gaspard, Elsa Benoit die Vertraute Inès mit kristalliner Stimme. Das Bayerische Staatsorchester begleitet brillant und präzise unter der Leitung von Karel Mark Chichon, der sich ganz auf den Mix aus französischer und italienischer Klangwelt einlässt.