Rossini und eine verfängliche Zeitungsannonce
REISEKULTUR / OPERA ST. MORITZ
10/06/14 „Rossinissimo“ haben wir mit dem Pfingstmontag in Salzburg hinter uns gebracht. Sollte jemand süchtig geworden sein bei den Pfingstfestspielen, reiselustig sowieso und gar noch neugierig auf „neuen“ Rossini: dem kann man im Sommer St. Moritz empfehlen.
Dort spielt man nämlich auch Oper, im Kulm Hotel, dessen Speisesaal heuer zum 15. Mal in einen Musentempel umfunktioniert wird. Immer wieder setzt man auch auf Ausgefallenes. Vor zwei Jahren etwa Rossinis „L’equivoco stravagante“, „Il Pirata“ von Vincenzo Bellini (2007), „Lucrezia Borgia“ von Gaetano Donizetti (2005). Dazwischen auch wieder große Mozart-Opern wie den „Figaro“ (2010) und zuletzt „Don Giovanni“ (2013). Von dieser Aufführung stammt das Szenenfoto oben, von Verdis „Oberto“ jenes links unten.
Heuer ist wieder Rossini angesagt – und gleich Extra-Rares. „La Gazzetta, ossia Il matrimonio per concorso“ entstand unmittelbar nach dem “Barbier von Sevilla”. Die 1816 in Neapel erfolgreich uraufgeführte Opera buffa handelt vom sowohl eingebildeten als auch modern denkenden Don Pomponio, der seine Tochter Lisetta über eine Zeitungsannonce öffentlich versteigern will.
Der Einfluss der Medien auf die Massen, die hauchdünne Trennlinie zwischen Information und Unterhaltung wird damit wohl zum ersten Mal in der Oper thematisiert. Rossini zeigt sich mit seiner Musik zur theatralischen Vorlage von Goldoni auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Sie funkelt von Witz und versprüht Lebensfreude.
Die Oper galt praktisch als verloren, ehe sie 1960 rekonstruiert im italienischen Radio ausgestrahlt wurde. Eine spektakuläre Inszenierung von Dario Fo beim Rossini Festival in Pesaro (2005) wurde auch in Barcelona und Wildbad gezeigt und auf DVD dokumentiert. Diese Aufführungen erzielten Achtungserfolge, enthielten aber den Beigeschmack des Fragments, denn immer noch fehlte im ersten Akt das originale, dramaturgisch wichtige und musikalisch gehaltvolle Quintett, von dem man nur wusste, dass es einst existierte.
Vor zwei Jahren wurde die vermisste Ensemble-Nummer in Palermo aufgefunden, nun kann man „La Gazzetta“ in ihrer kompletten Form aufführen. Nach einer ersten Inszenierung in Boston im April 2013 folgt im Juni 2014 die schweizerische Erstaufführung der Originalfassung in St. Moritz im Hotel Kulm und im August in Basel im Volkshaus unter dem Leitungsteam Eva Buchmann (Regie) und Jan Willem de Vriend (Dirigent).