Erst Tango tanzen, dann im Whirlpool plantschen
SCHLOSS ELMAU / INTERNATIONALE KAMMERMUSIKWOCHE
18/01/11 Da ist er schon wieder, dieser furiose Bandoneonspieler. Eben noch entlockte er seinem Instrument erst milde, dann zunehmend wilde Töne, jetzt trifft ihn man im Freiluftbad, das sich spektakulär zwischen Himmel, Hotel und Bergwelt einfügt. - Die 56. Internationale Kammermusikwoche auf Schloss Elmau.
Von Jörn Florian Fuchs
Als Musiker hat man es gut in Elmau, es gibt zwar keine Gage, dafür aber Kost und Logis und Wasserspiele gratis – der exquisite Außenpool hat noch mehrere Artgenossen, die mal hitzige, mal eiskalte Erlebnisse bieten. Das vor ein paar Jahren nach einem verheerenden Brand wiedererrichtete Fünfsternehaus ist jedoch nicht nur für Schwimm- und Spa-Enthusiasten interessant, schon seit der Eröffnung im Jahr 1916 gilt's der Kunst in sämtlichen Variationen. Das beginnt bei der Kulinarik (es gibt ein halbes Dutzend Restaurants) und endet keineswegs beim hoteleigenen Lifestyle, zu dem auch die tägliche Hauszeitung sowie ein überaus zuvorkommender Service gehören.
Das wirklich Singuläre Elmaus ist das ständige Angebot an Lesungen, Symposien, Vorträgen und Konzerten, seit Anfang Jänner zeichnet dafür die umtriebige (ehemalige Sony-Classical Managerin) Silke Zimmermann verantwortlich. Die aktuelle Kammermusikwoche hat noch ihre Vorgängerin Fee Schlennstedt programmiert. Neben einigen Stars (Sol Gabetta, Jörg und Carolin Widmann, Ilya Gringolts) waren auch diverse Nachwuchskräfte eingeladen. Etwa der Deutschrusse Igor Levit, Jahrgang 1987, der Beethovens komplexe Diabelli-Variationen mit traumwandlerischer Sicherheit darbot und wie nebenbei zeigte, dass sich analytische Detailarbeit sehr wohl mit einem großen dramaturgischen Bogen verträgt. Es entstand eine eigenwillige, ja eigensinnige Interpretation, die es dem Hörer nicht immer leicht machte.
Tags zuvor nach dem Frühstück gab es eine andere Herausforderung für die noch nicht so recht erwachten Hörnerven: die norwegische Trompeterin Tine Thing Helseth interpretierte mit ihrem Klavierpartner Håvard Gimse Werke von Grieg, Ravel, Martinu, de Falla und Piazzolla, auch das war ungewöhnlich und verlangte höchste Konzentration von Ausführenden wie Rezipienten.
Deutlich lockerer ging es am Abend zu, hier spielte der schon erwähnte Bandoneonkünstler Marcelo Nisinman mit drei Kollegen vorwiegend Stücke von Piazzolla. Nach einem eher verhaltenen, ruhigen Auftakt ging es in ein musikalisches Bordell, man erlebte die „Vier Jahreszeiten in Buenos Aires“, bevor alles in ekstatischen, wie improvisiert wirkenden, tatsächlich aber präzise notierten und gespielten Tangoattacken endete.
Demgegenüber war beim Gesprächskonzert zu Schumanns „Faust“-Szenen wieder eher Ruhe und Konzentration gefragt. Dieter Borchmeyer, alt gedienter Recke der Germanistik und des Musiktheaters, führte moderierend, erläuternd, bisweilen charmierend durch ein gutes Stündchen best of Faust, wobei der momentan wohl beste deutsche Bariton – Christian Gerhaher – die Verfasstheit des Titelhelden vokal wie gestisch brillant ausleuchtete.
Gerhahers Schüler, der Nachwuchsbass Tareq Nazmi, stand ihm dabei als Mephisto würdig zur Seite und die Sopranistin Ruth Ziesak erweckte ein zartes, verzweifeltes, auch wütendes Gretchen zum Leben. Gerold Huber ersetzte am Flügel ein ganzes Orchester und ließ Schumann in sämtlichen Facetten schillern und glitzern. Dem Faustsubstrat vorangestellt wurden sieben Lieder Schumanns zu Goethes „Wilhelm Meister“-Roman, was eine interessante Verknüpfung der doch recht unterschiedlichen Klang- und Textwelten ergab.
Was man sich trotz des hohen Niveaus der Kammermusikwoche für die Zukunft wünschen würde, ist eine stärkere inhaltliche Verklammerung der einzelnen Konzerte. Bevor Silke Zimmermann vielleicht künftig aus den Teilen ein Ganzes formt, sind zunächst allerdings erstmal die Jazzfreaks dran. Los geht’s damit in der kommenden Woche.