Mehr als Brunelleschi, Giotto und Vasari
REISEKULTUR / FLORENZ / OPER UND KONZERT
22/11/22 Die Kunstmetropole am Arno hat auch musikalisch einiges zu bieten. Die Veranstalter des Maggio Musicale Fiorentino, seit drei Jahren geleitet von Alexander Pereira, sind nicht nur im Frühjahr aktiv. – Eine gute Adresse für Konzerte: das Teatro della Pergola.
Von Oliver Schneider
Florenz ist kulturell nicht nur reich aufgrund seines architektonischen Erbes und der Vielzahl an (wieder überfüllten) Museen, sondern besitzt auch ein abwechslungsreiches, gut genutztes Konzert- und Musiktheaterangebot. So bespielt die Fondazione Maggio Musicale Fiorentino über das ganze Jahr verteilt das passenderweise nach dem Festival benannte Opernhaus am Rande der Altstadt. Ein moderner Komplex, der eher an ein Kongress- denn ein Kulturzentrum erinnert, mit einem rund 1800 Zuschauerinnen und Zuschauer fassenden Opernsaal und einem etwas mehr als halb so großen Konzertsaal, der nach dem Ehrendirigenten der Oper und des Orchesters des Maggio Musicale benannt ist: Zubin Mehta. Mögen weder die Anfahrt über stark befahrene Ein- und Ausfahrrouten noch die funktionalen Foyers besonders einladend wirken, die klare Akustik der beiden Säle entschädigt allemal für das wenig festliche Drumherum eines Opernabends.
Das gilt besonders für den kleineren Mehta-Saal, wo zuletzt eine Neuproduktion von Giuseppe Verdis fünfter Oper Ernani auf dem Spielplan stand. Der Begriff Inszenierung ist für das Arrangement der Auf- und Abgänge der Protagonisten und des Chors sowie das Verschieben von raumgestaltenden Wänden ein zu hochtrabender Begriff für Leo Muscatos Arbeit. Mag auch die Bühnentechnik im eigentlich für Konzerte bestimmten Saal beschränkt sein, ein bisschen mehr Einfallsreichtum als altbackene Operngestik würde man sich von einem prämiierten italienischen Schauspiel- und Opernregisseur wünschen. Denn die Rivalität zwischen dem vermeintlichen Rebell Ernani, dem greisen Grande Gomez und dem spanischen König Carlo, dem zukünftigen Karl V. um die Liebe Elviras und die Macht gäbe trotz der noch fehlenden Tiefenschärfe der Personen einiges an Bühnendramatik her. Warum im Übrigen die Kostüme an die Entstehungszeit des Werks – die Premiere fand 1844 in Venedig statt – erinnern, erschließt sich ebenfalls nicht.
Musikalisch kam man hingegen vollends auf seine Kosten, was vom Publikum in der besuchten Vorstellung auch mit reichlichem Applaus bedacht wurde. Der erfahrene James Conlon leitete seinen ersten Ernani und führte das Orchestra del Maggio Musicale nuancenreich und mit Brio durch die melodisch reiche Partitur. Francesco Meli in der Titelrolle brauchte zwar etwas Anlaufzeit, überzeugte dann aber mit seinem geschmeidigen, hellen und vor allem höhenstarken Tenor. Er war auch der einzige Protagonist, der versuchte, neben seinem Gesang auch darstellerisch um die Liebe Elviras zu kämpfen und den Tod seines Vaters am verhassten spanischen König Carlos, dem späteren Karl V, zu rächen. Vor allem Roberto Frontali als König wirkte neben ihm darstellerisch hölzern, so perfekt er die stimmlichen Herausforderungen der Rolle mit seinen gut verblendeten Registern bewältigte. Vitalij Kowaljow war ein stimmlich substanzvoller, fast schon dämonischer spanischer Grande, der seinen Rivalen Ernani um die Liebe Elviras zwar als Gast vor Carlo schützt, ihm aber schlussendlich, nachdem sich das Schicksal gekehrt hat, noch in der Hochzeitsnacht die Wahl zwischen Gift und Dolch lässt. María José Siri blieb in Florenz ob des Selbstmords emotionslos zurück, was so gar nicht zum emphatischen Ausdruck ihres klangstarken Soprans passen wollte. Der von Lorenzo Fratini gut vorbereitete Chor des Hauses rundete den musikalischen Gesamteindruck schließlich positiv ab.
Alexander Pereira, der den Maggio Musicale seit Dezember 2019 führt, bemüht sich, den über die Jahre verblassten Glanz des Festivals nach der Covid-Pandemie aufzupolieren. So ist die Saison nun in drei Festivals aufgeteilt: das Herbstfestival mit Verdi im Mittelpunkt, der von Januar bis April (!) dauernde Karneval mit einem Faust-/Goethe-Schwerpunkt und der traditionelle Maggio Musicale ab Mai 2023. Ohne thematischen Bezug war kürzlich außerdem die Salzburger Alcina von den Pfingstfestspielen mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle zu sehen. Auch in Florenz setzt Pereira also auf große Namen und seine Weggefährten, die seine Intendanzen bereits andernorts entscheidend mitgeprägt haben.
Wer neben Oper und Orchesterkonzert das Intimere in Florenz sucht, wird bei den Amici della Musica fündig. Sie sind einer der ältesten Konzertveranstalter in Italien und holen jeweils von September bis April alles, was auf dem Konzertpodium Rang und Namen hat, ins schmucke, versteckt in einer unscheinbaren Gasse befindliche Teatro della Pergola oder den dazugehörigen noch kleineren Saloncino. Am letzten Samstag war Paul Lewis mit einer Schubertiade wegen kurzfristiger Bauarbeiten im Teatro selbst im Saloncino zu Gast. Mit Innigkeit durchdrang er vor der Pause die Es-Dur-Sonate 568 und die a-Moll-Sonate D 784, die beide ideal für den kleinen Saal sind, bevor er nach der Pause die großformatige D-Dur Sonate D 850 reflektiert und vor einem konzentrierten Publikum durchmaß. Florenz ist also nicht nur für Brunelleschi, Giotto und Vasari jederzeit eine Reise wert.
„Don Carlo“ ab 27. Dezember unter Daniele Gatti in der Regie von Roberto Andò mit Mikhail Petrenko, Francesco Meli und Ekaterina Semenchuk – www.maggiofiorentino.com
Kammermusik in Florenz – www.amicimusicafirenze.it
Bilder: Michele Monasta / www.maggiofiorentino.com (3); amicimusicafirenze.it (1)