Nichts ist so analog wie Chorsingen
NACHGEFRAGT BEI HELMUT ZEILNER
19/05/20 Es gibt mehr Chöre als Fußballvereine: 2.240 Vereine zählt der Österreichische Fußball Bund. 3500 Chöre sind Mitglied im Chorverband Österreich. Vierhundert Mitglieds-Chöre gibt es allein im Bundesland Salzburg. „Dabei geht längst nicht jeder Chor gleich zum Chorverband. Die Dunkelziffer ist hoch.“
Von Heidemarie Klabacher
Helmut Zeilner ist Landes-Chorleiter, Chor- und Gesangspädagoge am Musikum und Leiter des KammerChor KlangsCala und der Chorknaben und Chormädchen. „Heimlich proben wollen wir vermeiden. Wir respektieren, dass das Singen in der Gruppe derzeit nicht gescheit ist. Niemand weiß, wie gefährlich die Aerosole bei 'gespuckten' Konsonanten wirklich sind.“ In den Knochen sitze das Beispiel eines deutschen Chors, der noch kurz vor dem Lockdown geprobt habe und dessen Mitglieder alle an Corona erkrankt seien. Tausende Chorkonzerte wurden in diesen Wochen abgesagt. Am Musikum werde es bis Ende des Jahres keine Chöre geben. An „ausgedünnten“ Konzepten für Herbst werde gearbeitet: „Das gilt für die ganze Chorszene.“
Einzel-Gesangsunterricht am Musikum online funktioniere inzwischen „nach Stundenplan“. Skype oder Zoom ermöglichten den Schülerinnen und Schülern sogar erstaunliche neue Aspekte der Selbstanalyse, sähen sie doch selber auf dem Bildschirm allfällige „Stirnfalten oder ein nicht lockeres Kinn“. Mit größeren Gruppen gehe das nicht, daher mache er, so Zeilner, auch keine online-Chorproben. „Es ist wie Fastenzeit. Die Sängerinnen und Sänger merken, was ihnen abgeht und freuen sich umso mehr auf die nächste Chorprobe.“
Die Corona-Krise trifft die Sängerinnen und Sänger jedenfalls schwer. Mit der Langen Nacht der CHORantäne morgen Mittwoch (20.5.) stellt der Chorverband Österreich ein Leuchtturm-Projekt in die sing- und damit für viele Menschen beinahe sinn-freie Zeit. Insgesamt dreißig Chöre und Ensembles, je drei aus jedem Bundesland sowie aus Südtirol, werden auf dem YouTube-Kanal des Chorverbandes je ein Video präsentieren: „Nichts fertig Vorhandenes, sondern etwas bewusst angesichts der Corona-Krise eigens Produziertes“, fasst Zeilner die Idee des Projektinitiators Andreas Salzbrunn vom Chorverband Österreich zusammen. Für das Bundesland Salzburg ausgewählt wurden Sotto Voce mit You raise me up, Moving Voices mit Lord, I know, I´ve been changed und der Klassenchor der 4b Borromäum mit You are not alone.
„Die Corona-Zeit hat gezeigt, was den Menschen wichtig ist.“ Warum gerade das Singen so vielen Menschen so viel bedeutet? „Weil es Emotionen gibt, die nur übers Singen transportiert werden. Das Singen geht tiefer als das Sprechen.“ Der Bariton Thomas Hampson habe einmal gesagt, wenn er „nicht Sänger geworden wäre, wäre er Psychopath geworden“, zitiert Zeilner.
Dazu komme, wie bei allem Miteinander-Musizieren, der soziale Aspekt: „Ich muss mich in die Gruppe und ihren Klang einfügen, etwas beitragen, ohne herauszustechen. Das geht nur, wenn ich mein Ego an der Garderobe abgebe.“ Man könne beim Chorsingen viel fürs Leben lernen, sagt der Chorpädagoge. „Wer einmal zum Singen gefunden hat, kommt nicht mehr davon los.“
Möglichst vielen Menschen die Gelegenheit geben, zum Singen zu finden, ist – neben einem enormen Fortbildungs-Angebot für alle, die schon dabei sind – eine der Hauptaufgaben der Chorverbände. „Viele Kanäle öffnen, dass viele Menschen ins Singen hineinfinden.“ Und ja, jeder könne singen. „Es geht darum, den Menschen die Angst zu nehmen.“
Das Herstellen der Video-Beiträge für die Lange Nacht der CHORantäne bot – über den hohen Spaßfaktor für alle Beteiligten hinaus – den Chorleiterinnen und Chorleitern „eine gute Gelegenheit, ihren Chor von einer ganz neuen Seite kennenzulernen und sich ganz neu mit dem Chor zu befassen“, erzählt Helmut Zeilner.
Die Technik, „Chor“-Videoaufnahmen aus zusammen-geschnittenen Einzelstimmen zu erstellen, ist ja inzwischen geläufig. Sie werde, so Zeilner, auch den meisten Beiträgen zur Langen Nach der CHORantäne zugrunde liegen. „Oft hat der Chorleiter eine Klavier-Spur eingespielt. Die Sängerinnen und Sänger hören über Kopfhörer das Klavier, oder auch eine bereits vorhandene Aufnahme, und singen dazu.“ So etwas sei ein gutes Training für die Mitwirkenden und zeige den Chorleitern deren Qualitäten: „Da ist jeder und jede einmal ganz allein präsent.“
Solche Projekte könnten Chorprobe und Chorauftritt live natürlich nicht ersetzen, seien aber eine gute Chance zum Kontakthalten und eine reizvolle neue Herausforderung. Was die Krise seinem Bereich tatsächlich Positives gebracht habe: „Es gibt viele elektronische Hilfsmittel, die man vorher nicht so beachtet hat.“ Vom Carus Verlag, einem renommierten Musikverlag, etwa bekomme man zu gekauften Noten auch einen online-Zugang zu Einstudierhilfen, wo einzelne Stimmen klanglich hervorgehoben werden. Sängerinnen und Sänger, die im Blattsingen nicht so versiert seien, hätten so eine Möglichkeit, gut vorbereitet zur Probe zu kommen. Es gab und gibt also auch in der Krise, „viele Möglichkeiten, sich mit Gesang und Chor zu befassen“, sagt Helmut Zeilner. „Dennoch ist nichts so analog wie Chorsingen.“