Spät aber doch geht es ans Aufarbeiten
MUSIKGESCHICHTE / NATIONALSOZIALISMUS
05/09/13 In Salzburg scheiden sich die Geister in schöner Regelmäßigkeit an Tobi Reiser. Kann man einen Musik-Handlanger des Nazi-Regimes gleichsam isoliert von dieser Rolle als Innovator, Förderer der Volkskultur (be)werten. Darf man das Ausblenden problematischer politischer Betätigung tolerieren?
Von Reinhard Kriechbaum
Immer wieder taucht die Forderung auf, etwa die nach Tobi Reiser oder Kuno Brandauer benannten Preise umzubenennen. Dass solches durchaus machbar ist (auch wenn manche es für denkunmöglich halten), wird gerade in Tirol vorgezeigt. Da schlägt zur Zeit der in der Blasmusikszene – nicht nur in Tirol – prominente Name Sepp Tanzer ganz hohe Wellen. In Kramsach hat man, bemerkenswerter Weise erst 2008, die Musikschule von Kramsach nach diesem lokal Heroe benannt. Der Offizier mit den verschränkten Armen im Bild rechts war Gaumusikleiters von Tirol und Vorarlberg, außerdem Leiter des Referats Volksmusik in der Reichsmusikkammer. Nach 1945 belegte man ihn mit einem dreijährigen Auftrittsverbot, doch dann stieg Sepp Tanzer zu einer der wichtigsten und prägendsten Persönlichkeiten der Blasmusikszene auf. Er ist 1983 in Kramsach gestorben. Sein Name werde demnächst am Musikschulgebäude überpinselt, heißt es. Dieser Tage gab es nämlich einen einschlägigen Regierungsbeschluss. Man sehe in der Benennung „ein problematisches Zeichen“, da „zu Missverständnissen und zu falschen Deutungen Anlass geben“ könne.
Nicht, dass man nichts gewusst hätte von der ideologischen Berlastetheit des Komponisten von Stücken, die zum Standardrepertoire der Blasmusik rechnen. Aber der Tiroler Blasmusikverband, der die heiklen Jahre tunlichst nicht nur auf seiner Homepage ausblendet, bildet natürlich eine beachtliche Lobby. An Sepp Tanzer zu rütteln, gilt vielen als so etwas wie musikalischer Landesverrat. Eine Symbolfigur wie ihn lässt man sich nicht so ohne weiteres aus den Reihen schießen.
Der an der Innsbrucker Expositur der Universität Mozarteum tätige Musikwissenschafter Thomas Nussbaumer hat über musikalische Volkskunde unter dem Nationalsozialismus promoviert. Volksmusik im Nationalsozialismus ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. „Die Musikschule nach Sepp Tanzer zu benennen, war schon damals (2008, Anm.) skandalös“, befindet er.
In letzter Zeit hat das Wissen um die „braunen Flecken“ in der jüngeren lokalen Musikgeschichte noch deutlich zugenommen. Es gab 2012 ein Symposion und eine einschlägige Ausstellung. Thomas Nussbaumer: Die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ waren zum Teil dezidiert NS-ideologisch und antisemitisch (insbesondere Josef Eduard Ploner) und grundsätzlich antimodernistisch (z.B. Karl Senn oder Emil Berlanda). Die Pflege ihrer Werke ist nur dann sinnvoll, wenn diese ausreichend kontextualisiert werden. Das geschah bisher zu selten und war der Auslöser für die längst schon überfällige öffentliche Diskussion über Musik und Kultur im Nationalsozialismus in Tirol.“
Besonders pikant: Die Kulturabteilung sitzt auf einem Gutachten, bei dem so manche Prominente in der lokalen Musikgeschichtsschreibung offenbar ganz schlecht wegkommen. Wohl um Diskussionen hintan zu halten, wurde die Expertise von der Kulturabteilung des Landes Tirol bisher unter Verschluss gehalten, was einschlägig tätige Wissenschafter mit Recht ergrimmt. Kurt Drexel hat über „Musikwissenschaft und NS-Ideologie“ promoviert und ist Co-Herausgeber der dreibändigen Musikgeschichte Tirols: „Das Gutachten muss auf jeden Fall der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Alles andere ist unakzeptabel.“ Angeblich, berichtet die Tiroler Tageszeitung, werden nun beide Teile nun doch Anfang Oktober veröffentlicht. Die „Forcierung der Erinnerungskultur“ gehört immerhin zu den im Regierungsübereinkommen formulierten schwarz-grünen kulturpolitischen Zielen.
An Explosionsstoff dürfte es nicht fehlen: Josef Eduard Ploner war nach Drexels Dafürhalten „der am umfangreichsten in der NS-Kultur engagierte Komponist im Deutschen Reich war. Antisemitismus und Antimodernismus prägten sein Werk, seine öffentlichen Stellungnahmen und seine rassische Volksmusikforschung“.
Im Internet-Blog des Tiroler Publizisten Markus Wilhelm (www.dietiwag.at) kann man unter anderem nachlesen, was der Tiroler Komponist Johannes Staud von der Sache hält: „Werkpflege von heute vergessenen Tiroler Komponisten ist ja an sich keine schlechte Sache. Nur wenn deren Rolle in der NS-Zeit - oder sogar noch danach! - mehr als zweifelhaft, aus tiefstem Herzen verurteilungswürdig ist, muss dies auch klar in allen Publikationen und CD-Booklets kenntlich gemacht werden und darf keinesfalls verschwiegen werden. Dass die Qualität der Musik eines Joseph Eduard Ploner etwa, die aus einer dummen, gehässigen und antisemitischen Geisteshaltung heraus entstanden ist, mehr als dürftig und heute nicht mehr relevant ist, steht auf einem anderen Blatt.“