Grabe aus, scharre zu
STIFTUNG MOZARTEUM / LIEDERABEND / GOERNE
08/05/13 Tod und Leben. Entsagung und Hoffnung. Nacht und Träume: Der Bariton Matthias Goerne und sein Klavierpartner Alexander Schmalcz begeisterten am Dienstag (7.5.) im Großen Saal des Mozarteums mit einem Schubert-Abend, der inhaltlich an die Grenzen des Menschseins, musikalisch-technisch direkt auf den Parnass führte.
Von Heidemarie Klabacher
„Nacht und Träume“ D 827 ist eigentlich ein „Höhepunktlied“, steht auch meist am Ende einer Liedgruppe oder überhaupt eines Liederabends. Matthias Goerne hat es als erstes Lied an den Anfang seines Schubert-Abends gestellt, hat inhaltlich und interpretatorisch am Höhepunkt begonnen - um weiter abzuheben.
Mit den Eingangsversen „Heilg’e Nacht, du sinkest wieder“ schienen sich die Kulissen für den Abend auf die Bühne zu senken: wehende Vorhänge oder Nebelfetzen, die den Blick auf Leben oder Tod freigaben, je nachdem. Eine solche Suggestionskraft erreicht nur eine auch technisch perfekte Interpretation: Zum atemberaubenden Piano und zum langsamen (aber keineswegs auf „feierlich“ getrimmten) Tempo kamen in der Lesart Goernes die Melodielinien auf scheinbar einen einzigen Atem. „Holde Träume, kehret wieder…“
War der „Blinde Knabe“ aus dem Lied op. Post. D 833 nicht auch eine Figur aus diesen Träumen? Die Lieder „Hoffnung“ und „Die Sterne“ auf Texte von Schiller und Schlegel sprachen ebenfalls von einer aus nicht-irdischen Quellen genährten Zuversicht. Bis zum letzten Schlag kämpft das Herz im Lied „Im Abendrot“ und „trinkt noch Glut und schürft noch Licht“: Der stillen Resignation am Lebensende verlieh Goerne bewegende Größe.
Danach führten Matthias Goerne und sein Klavierpartner Alexander Schmalcz mit schweren Marschtritten direkt ins Grab – um mit „Totengräbers Weise“ D 869 selbst am düstersten aller Orte die Hoffnung strahlen zu lassen. „Noch nicht ganz tot“ ist der alte Mann im „Greisengesang“ D 778: Er ist erfüllt von den Bildern glücklicher Tage und entschlossen, am Ende des Lebensweges, nur mehr dem Duft der Träume Einlass in sein Haus zu gewähren. Eine große Kantilene oder langsame Koloratur ist der Höhepunkt des Liedes – und steht in farbreichstem Kontrast zur fahlen kalten Leere und dem „rauen Odem der Wirklichkeit“, der von dem Alten souverän ausgeschlossen wird. Es war packend, wie Goerne diese Kontraste gestaltet hat. Ebenso bewegend war es, in „Totengräbers Heimweh“ D 842 mitzuerleben, wie das Lied von der schweren traurigen Pflicht – „Grabe aus, scharre zu“ – zur schwerelosen Hymne an das ewige Licht wird.
Im dritten Liedblock erklangen mit „An Silvia D 891 und dem „Ständchen“ D 889 erstmals unbeschwert heitere Töne, fein und zurückhaltend gesungen und ebenso begleitet. Mit „Erntelied“ D 434 und „Herbstlied“ D 502 kam der Liederreigen ganz kurz in „dieser Welt“ an, um alsbald wieder Richtung „Lieblicher Stern“ D 861 abzuheben.
Einzelne vertraute Lieder, viele seltener und selten gesungene Pretiosen. Ein Pianist, der seinen Part nicht einfach „funkeln und perlen“, sondern in jeder Phrase mit dem Klang der Stimme verschmelzen lässt. Ein Sänger, der, technisch souverän, in jedem Lied die Botschaft für den Hörer von Heute aufzuspüren weiß: Hier traf alles zusammen. Ein Liederabend. Ein Ereignis.
Zum Kommentar Holde Träume, kehret wieder. Piep. Piep.
Bild: ISM/Marco Borggreve