Wie gut sich der "Zufall" fügte
WIENER SAAL / PHILHARMONIA QUARTETT BERLIN
05/11/12 Vier Herren der Berliner Philharmoniker spielten Streichquartett im Wiener Saal. An einem schönen Herbstsonntag zu Mittag. Der Besuch war dennoch erfreulich. Das „Philharmonia Quartett Berlin“ zählt unter den Quartetten aus den Reihen eines Orchesters zweifellos zur Spitzenklasse.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die Geiger Daniel Stadrava und Christian Stadelmann, der Bratschist Neithard Resa und der Cellist Dietmar Schwalke sind nicht nur ein kollegial eingespieltes, sondern auch ein perfekt aufeinander hörendes und phantasievoll nachschöpferisches Ensemble. Das bewies das zentrale Werk dieser Matinee, Witold Lutoslawskis berühmt-berüchtigtes einziges Streichquartett, welches anno 1964 ein aufregendes Experiment im Rahmen der „kontrollierten Aleatorik“ des polnischen Komponisten gewesen ist und mittlerweile zu den Standardwerken der klassischen Moderne zählt.
Lutoslawski gehört zu jenen Avantgardisten, die stets wussten „wie weit sie zu weit gehen“ konnten, um ein Zitat über Alban Berg zu verwenden. Im Grunde ist auch dieses avancierte Stück vom geistvollen Spiel mit klassischen Formen, durchaus romantischen Emotionen und nicht zu überhörender slawischer Musizierlust durchflutet. Die Quartett-Philharmoniker haben eine schlüssige Methode gefunden, mit den „mobilen“, in keiner offiziellen Partitur zusammengefügten Stimmen des Komponisten umzugehen und quasi improvisierend ein geschlossenes Ganzes zu finden. Die Interpretation zeichnete sich durch souveränen Spielwitz, jedoch ebenso durch Tiefe des Ausdrucks aus. Ein Höhepunkt war die mitreißend schräge „Pizzicato-Polka“, im vielgestaltigen zweiten Satz, der dem betont dramatisch fokussierten ersten nicht ganz pausenlos folgte.
Danach passte wunderbar Ludwig van Beethovens „Harfenquartett“ – so bezeichnet nach den von Legato begleiteten Pizzicati im ersten Satz – in Es-Dur op. 74, in dem ständig die 5. Symphonie und deren Beginn herumgeistert, besonders im rasanten Scherzo. Die immense rhetorische Qualität dieses Quartetts schien im impulsiven Spiel immer wieder auf Lutoslawski hinzudeuten. Und dazu passte auch die pointiert musizierte Zugabe, der 1. Satz aus dem 3. Streichquartett von Dimitri Schostakowitsch, dessen satirisch aufgeladene russische Tanzlaune bestens getroffen wurde.
Einer unwiderstehlichen Tanzlaune war man auch am Anfang des Konzerts begegnet, vor allem was das Hauptthema des Menuetts von Mozarts „Hoffmeister-Quartett“ – genannt nach dem Verleger – in D-Dur KV 499 betrifft. Woran lag es, dass ausgerechnet Mozart nach den folgenden Stücken verblasst war? Wohl nicht nur daran, dass rein entwicklungsgeschichtlich eines der experimentellen frühen Quartette Joseph Haydns besser zum Folgenden korrespondiert hätte. Auch ein wenig daran, dass in diesem Falle die Philharmonia-Herren zwar mit schönem Ton und musikantisch beseelt, aber doch eher nach alter „philharmonischer“ Weise gespielt hatten, ohne geschärfte Kontraste. Dem letztlich verdienten Erfolg konnte dies freilich keinen Abbruch tun.