Höllenritt auf Gleitfläche
ASPEKTE / ERÖFFNUNG
07/03/24 Freies Spiel mit Assoziationen am ersten ASPEKTE-Abend. Das Stück PHACE-FACE Dia.De von Pierluigi Billone ist absolute Musik mit rabiatem Assoziationsimpuls, das Stück Plans for Future Operas von Øyvind Torvund voller assoziativer Anregungen mit rabiater Eklektik. Zwei sinnfällig kontrastierende Konzerte.
Von Erhard Petzel
Der Komponist Pierluigi Billone weiß die Qualitäten der Ensemblemitglieder von PHACE auszureizen und für den ihnen zugeeigneten musikalischen Abenteuer-Trip umzusetzen. Das Altsaxophon gleitet im agogischen Notstand mit dem großflächigen Blech des Schlagwerks durch Raum und Zeit. Punktuelle Impulse von Klavier und zweitem Schlagwerk stellen sich quer. Eine erste Steigerung nimmt Posaune, Cello und Stimme dazu. Nach immer kläglicherem Saxophon klingt der erste Bogen leise aus.
Damit sind die wesentlichen Bausteine zum Stück bereits vorgestellt: Gleittöne, Rhythmische Schlageinheiten, Effekte im Absturz, später werden Obertöne und vermehrt elektronische Klänge und Geräusche den Klangkosmos bereichern. Kontrabass und E-Gitarre vervollständigen das von Lars Mlekusch umsichtig und präzise geführte Ensemble PHACE durch die Struktur organischer Spannungsbögen.
Anna Clare Hauf und Karera Fujita fügen ihre Stimmen als Superinstrumente mit halsbrecherischen Herausforderungen ein. Weder Würgekonsonanten noch Stimmstrapaze beim Einatmen setzen ihnen zu. In organischen Bögen tauscht sich alles Tönende untereinander aus, fließt exakt ineinander oder bildet polyphone Gewebe aus und wechselt von dramatischer Klimax zum entspannten Ausschwingen.
Der tonsetzerischen Arbeit an sich lässt sich mit Spannung folgen, doch schreien die immer wieder heftig aufgeladenen Konvulsionen nach inneren Bildern und inhaltlichen Zuordnungen. Die erratischen Lauttexte im Sängerinnen-Duett erinnern an die Horror-Sprachen von Fantasy. Auf Bigband-Höllenritte folgen Friedensflächen in der permanenten Gefahr zerklopft zu werden. Geklopfte Phasen bilden ein Gegengewicht zu den Gleitflächen.
So raffiniert sich die Musik aus ihrem Material ständig neu schöpft und dennoch den Bezug zur vertrauten Basis hält, so erschöpft sie sich schließlich doch etwas, wenn sie ein mögliches Finale mit grandioser Wirkkraft ungenutzt lässt, um noch einmal begangene Pfade noch auszutreten.
Hebt sie sich aus schriller Wutklage in trillernde Höhen, steht sie damit in eigenartigem Kontrast zum zweiten Konzert des ASPEKTE-Eröffnungsabends am Mittwoch (6.3.) in der Szene Salzburg: nämlich zur Performance von Juliet Fraser und Mark Knoop zu Øyvind Torvunds Stück Plans for Future Operas aus 2022. Die Pläne sind auf Leinwand mit Zeichnungen und Texten illustriert. Doch zunächst geben sie sich recht medidativ im Dunkeln mit Anleitung für Atmung und Imagination für Landschaften und Sound-Installationen. Nach Strand und Sonnenuntergang mit entsprechendem Sound gibt es endlich Spots auf die beiden, die Sopranistin Juliet Fraser und den Soundtechniker und Tastentiger Mark Knoop, und die Show beginnt im Vollumfang der Sinne.
Zu minimalartigen Zerlegungen am Keyboard wird eine kreative Form von Programmatik auf die Leinwand projiziert, dem stilisiert jodelnden Sopran zur Genugtuung. Aus einer krakelig gezeichneten Box wird eine Wolke, die sich zu Botschaften formt (Hope, Faith, Love). Dann wandeln sich die Szenerien für fantasierte Opernszenarien: Parkplatz, Autoschlangen bis zum Wald, in dem Kunst und Natur akustisch und technisch verwoben werden.
Tasten und Sopran liefern akustische Verschränkung von Vogelnatur und Soundtechnik, Chor und Orchester werden imaginiert und durch Soundskulpturen auf in den Bergen und am Meer visualisiert. Eine absurde Systematik stellt in Øyvind Torvunds Komposition vier paranormale Operntypen auf, wobei die Kommunikation mit einem toten Freund jenseits der Wand als Topos wiederkehren wird. Kommunikation stellt sich als Meta-Thema heraus.
Das Spiel mit Wahrnehmung und Stil findet in Gesang, Klaviermusik und technischer Einspielung seine Vernetzung mit den projizierten Zeichnungen. Der Sopran steht sowohl für natürliche Welt wie abstrakte Kunstbegrifflichkeit, liefert sich Duelle mit der digitalen Soundwelt und fordert sich mit technischen Verschraubungen in lichte Höhen. Mark Knoop ziert sich am Klavier mit minimalen Mustern, Ragtime, barocken und romantischen Anklängen und betreibt eine vielfältige Welt der Sounds in Einspielungen und am Keyboard. Ein Theremin wird ebenso thematisiert wie Rückkopplungen. Ob robotisiertes Naturidyll, innere Landschaft oder Wohnzimmer, Øyvind Torvunds Pläne zur Zukunft der Oper ergeben einen diffusen Zwitter aus Poesie und Ironie. Plans for Future Operas steht damit komplett im dramaturgischen Kontrast zur sprechenden Musik von PHACE-FACE Dia.De. Dem Publikum gefiel beides, die Gegenüberstellung lohnte den Besuch beider Konzerte.
Das ASPEKTE-Festival dauert bis Sonntag (10.3.) – aspekte-salzburg.com
Bilder: Aspekte / Wolfgang Kirchner
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