Kann ein Löwe Nachtigall?
STIFTUNG / KEBYART
19/06/23 Von Georg Friedrich Haas und Jörg Widmann erwartet man sich effektvolle Musik für vier Saxophone,. Aber Mozarts Streichquartette als Sax-Arrangement? In perfektem Deutsch unterstellt Tenorist Robert Seara, Mozart hätte für das Saxophon geschrieben, wäre es schon erfunden gewesen. Das Saxophonquartett KEBYART aus Barcelona.
Von Erhard Petzel
Also gilt die Probe aufs Exempel: Kann ein Löwe Nachtigall? Das Dissonanzen-Quartett C-Dur KV 465 erweist sich als anschauliche Spielwiese für den feinen Unterschied in den Spielweisen. Der besserwisserischen Beckmesserei sei das stupende Spiel des Ensembles vorausgeschickt: Das spanische Saxophonquartett KEBYART brillierte am Samstag (17.6.) im Wiener Saal mit Mozart, Haas und Widmann.
Die Einleitung zum Dissonanzen-Quartett überzeugt: Der bis in die Intervallfeinstrukturen wandlungsfähige Saxklang verleiht ihr fulminante Tiefe und Kraft, das polyphone Wechselspiel blüht auf. Dem hurtigen Hauptthema geht dann allerdings die Leichtigkeit des Streicher-Seins ab. Bei aller Feinheit des Bläserspiels und engagierter dynamischer Ausdifferenzierung erscheint es gegen Streicher (deren Atmung auch eher meditativen Charakter erlaubt) doch gröber geartet. Das kantable Andante atmet kräftige, herbe Süße im Bläsersatz, der im feinsten piano glöckelt und durch überraschende Brass-Farben erfreut. Das neckische Menuett fällt bei Forciertem leicht schrill aus, das Trio gerät tief schmerzlich. Immer beglücken die Unisono-Einwürfe. Zart und fein das Allegro mit beherrschtem Kontrast und atemberaubender Virtuosität.
Das Streichquartett D-Dur KV 575 wird vom Baritonisten Daniel Miguel anmoderiert, der die Verwandtschaft der drei Themen im Kopfsatz vorstellt. Dieser glänzt durch weiche Ausgelassenheit und virtuose Überleitungen, transparente Polyphonie mit forschen Akzenten und einer delikaten Durchführung. Die Folgesätze entsprechen diesem Eindruck, das irrlichternde Wesen des finalen Allegrettos, verstärkt durch den Bläsercharakter, lässt erahnen, warum die Binnenstruktur des Werkes für Mozarts Zeitgenossen verstörend wirken mochte. Hat das Quartett mit Mozart einen starken Eindruck hinterlassen, liegen die Höhepunkte aber bei unseren Zeitgenossen, die tatsächlich für die Saxophone geschrieben haben.
Georg Friedrich Haas’ 2014 komponiertes Saxophonquartett ist ein spannender Einsätzer, dessen fast durchgehend präsente Grundkonstante ein Tremolans wie das einer Orgel aus Schwebung und Artikulation ist. Aus dem Ton wandert ein Cluster durch den Raum, der sich zunächst in die Höhe schraubt, dann seinem erstaunlichen, stets neu konfiguriertem Klangspiel Erinnerungsmuster einschreibt. Kombinations- und Obertöne beleben das Spektrum wie Gleit- und Mikrotöne. Eine Nebelhorn-Apotheose unterbricht kurzzeitig die Tremolansidee, die aber nach einer Generalpause in Klanginseln im Piano-Teppich schließlich ausklingt.
Altist Victor Serra bestätigt die Widmung für ihr Ensemble, wenn er Jörg Widmanns 7 Capricci für Saxophonquartett ankündigt. Das sind kleine Charakterstücke, in denen zum Spektrum zeitgenössischer Klangsprache dekonstruierte Melodiestrukturen typisch sind und fallweise quasi herkömmliche Melodik und formale Zuordnungen (wie z.B. Walzer) zitieren. Irisierenden Chorälen einerseits steht der finale Kontrast einer Zirkusparade auf der anderen Seite entgegen, einem derben Jahrmarkts-Marsch mit verrückter Stretta.
Sopranist Pere Méndez sagt als Draufgabe für den tosenden Applaus ein Eigenarrangement der Gruppe an des Titels: Take This Valse. Die blaue Donau wird gleich zu Beginn zitiert, dann blitzen verzerrte klassische Walzerthemen in das dekonstruierte Hallelujah des Leonard Cohen dezitierten Werkes auf. Eine ausladende Bandbreite an freiem Ausdruck von Moderne bis zu Klezmer zeigt nochmals die Virtuosität und profunde Ensembletechnik von KEBYART auf. Der Name kommt vom balinesischen „kebyar“ und bedeutet „plötzlich aufflackern“. Der Funke, der hier überspringt, wird wohl weiterhin in der Kulturlandschaft lodern und seinen Brand entfachen.
Bilder: www.kebyart.com / IGOR STUDIO