Ob die das denn dürfen?
STIFTUNG MOZARTEUM / LIEDERABEND
10/03/23 Die alte Sage vom Ritter Peter und der Königstochter Magelone... Sie wird erzählt von einem Sprecher, ein Sänger sorgt mit Liedern zur Klavierbegleitung für die Emotionen. Die schöne Magelone von Johannes Brahms als farbenprächtiges Zeugnis romantischer Ironie gestalte das Dreigestirn Rafael Fingerlos, Sascha El Mouissi und Holger Wemhoff.
Von Erhard Petzel
Sänger. Pianist. Sprecher. Das ist eine Möglichkeit, den 15 Romanzen op. 33 von Johannes Brahms auf Gedichte von Ludwig Tieck zu begegnen. Brigitte Fassbaender, die das Werk ob seiner Schönheit schätzte, übernahm dabei auch den Sprecherpart selber.
Der Barion Rafel Fingerlos pflegt den anderen Zugang. Er konzentriert sich auf die 15 Lieder. Den Sprecher machte am Donnerstag (9.3.) im Wiener Saal Holger Wemhoff, der dem an der Oberfläche naiv einher strömenden Text einen ironischen Unterton beimischt und auch nicht vor dem einen oder anderen Anflug von Anzüglichkeit zurückschreckt. Damit trifft er sich im Zugang mit dem Salzburger Bariton Rafael Fingerlos und der Begleitung des Pianisten von Sascha El Mouissi.
Die Frage, ob die das denn dürften, ist eindeutig zu bejahen. Wenn Tieck den mittelalterlichen Stoff aus Frankreich aufgreift, hat der bereits eine enorme Wirkungsgeschichte hinter sich – mitsamt Übersetzung und Umdichtungen. Die Geschichte ist zu der Zeit bereits als Schmonzette für die minder belesene Damenwelt verschrien. Tieck spielt also nicht nur mit der Trivialität als Sujet-Komponente, die in die märchenhafte Textstruktur einfließt, sondern auch mit der Spannung zwischen Sentiment und Ironie.
Dementsprechend kann man den Text für sich aufbereiten und zwischen Kalkül und Emotion pendeln. Selbst die außerordentlich farben- und nuancenreiche Musik Brahms´ lässt sich als ungemein tiefgehende wie romantisch hypertrophe Klang-Ausdeutung verstehen. In jedem Fall ist die virtuose Wirkung der Komposition mitreißend und ästhetisch beglückend, wenn Fingerlos auch dann, wenn er seine Stimme im Schwall der Begeisterung von der Leine lässt, den Wiener Saal als etwas eng dimensioniert entlarvt.
Als Liederzyklus scheint das Werk zwar untypisch, weil er tatsächlich aus lyrischen Einsprengseln in eine Erzählung besteht (weshalb Brahms selbst die Lesung derselben vorantrieb), doch ist gerade dieser Umstand und der Wechsel der Perspektiven und Stimmungen genuin typisch für die literarische Romantik. Auch das Thema Ritterschaft und unglückliche Liebe, das nebulöse Durchschimmern der guten alten Artus-Epik in verniedlichtem Märchen-Gestus und das daraus resultierende Ende in Harmonie scheinen ihren freundlichen Spott mit den emotionellen Erwartungshaltungen des Publikums zu treiben.
Das zeigt sich besonders krass im Schlusslied Treue Liebe dauert lange, in dem der Interpret beide Protagonisten, Prinz Peter von Provence und die neapolitanische Königstochter Magelone, in Personalunion verkörpert. Die singen das Lied jedes Jahr am Platz ihrer glücklichen Wiederbegegnung nach Jahren der Abwesenheit Peters als Sklave eines Sultans. Für die Altistin und Liedexpertin Brigitte Fassbaender eigenen Worten nach ein Höhepunkt an Schönheit – und doch eigentlich nicht wirklich ernst zu nehmen. Wie man überhaupt den ganzen Text nicht zu genau auf Inkohärenzen abklopfen darf, wenn man sich von Widersprüchen nicht aus seiner Märchenstimmung aufschrecken lassen möchte. Und die vorgebrachten Weisheiten verbinden sich gerne mit der Binse.
Wie Brahms aber Universen lenkt, zeigt sich in der Strophe um das Zeitgefühl in Romanze VI: „Wie geht mit bleibehangnen Füßen / Die Zeit bedächtig Schritt vor Schritt! / Und wenn ich werde scheiden müssen, / Wie federleicht fliegt dann ihr Tritt!“ Die Marschallin lässt grüßen, wenn auch aus einem grundsätzlich anderen Verständnis.
Zwei wohl gewählte Volkston-Draufgaben im Dialekt vervollkommneten den Abend. Da unten im Tal spielt auf der bodenständigen Ebene, was auf der intellektuellen als Ironie gilt: Mit Lieb und Treu geht unverbrüchlich der Verdacht der Falschheit einher, wenn auch nur ein bisserl. Der verhaltene Ton erfüllt den Raum mit atemloser Intensität. Unverhofft kommt auch Wemhoff zur motivgerechten Textdraufgabe nach Heinrich Heine, dem unvergleichlich in Melancholie wirkenden Über-Ironiker. Wenn am Schluss der Wind durchs Haar den Wunsch nach der liebsten Hand und Stimme das Gernhaben ganz ohne Ironie beschwört, ist das Glück greifbar nah.
Bilder: Still aus www.facebook.com; www.rafaelfingerlos.com; www.saschaelmouissi.com / Saleh Rozati