Sog in eine Landschaft aus Schwingen
MOZART+FEST / MAHLER CHAMBER ORCHESTRA
23/10/22 Ein prächtiger Ort für die Kultur des musikalischen Feierns, ein schwieriger für das pure Musizieren. Kinderkrankheiten zeigten sich am Freitag (21.10.) bei Mozart+Fest im Großen Saal beim Gastspiel des Mahler Chamber Orchestra mit und unter Leif Ove Andsnes.
Von Erhard Petzel
Die ausladende und großzügige Aufweitung des Großen Saals weitet und heitert – und das seit jeher – auch die Seele auf. Das macht den ganzen Menschen groß und wohl gestimmt, sodass er mit einem völlig neuen Gefühl in den prächtigen Saal flaniert in fürstlicher Selbstzufriedenheit. Doch Schönheit als Selbstzweck birgt Tücken. Bereits die Lautsprecheransage fällt überraschend laut aus, die Saalansage zur Aufnahme des Konzerts kann dann rückgepegelt werden. Bereits das zeigt, dass man die Akustik des renovierten Raumes anders eingeschätzt hat. Das folgende Konzert wird eine Problematik dieser sehr akustischen Säle offenbaren, wie sie beispielsweise auch im Wiener Musikverein zu beobachten ist: Orchestermusik ist akustisch schwer in Balance zu halten.
Das Mahler Chamber Orchestra lässt sich nicht lumpen, wenn es um effektvolles Musizieren geht. So leitet Leif Ove Andsnes die beiden Klavierkonzerte Mozarts – Es-Dur KV 482 und c-Moll KV 491 – vom Soloinstrument aus. Bei der Symphonie D-Kur KV 504 Prager Symphonie lässt Konzertmeister Matthew Truscott dann alle Musiker, die dazu in der Lage sind, also nicht die Cellisten, stehend musizieren. Das geschieht mit Verve und agogisch fein ziseliert. Es ist an und für sich eine Freude.
Aber im ersten Satzes des Es-Dur-Konzertes knallen die hohen Mittellagen heraus, Klaviergirlanden überlagern sich immer wieder mit den Bläsern zu einem Klangmatsch, aus dem die Binnenstrukturen mit Aufwand herausgehört werden müssen. Besser geht es mit der elegischen Klaviereinleitung des zweiten Satzes und dem dramatischen Tremolo in den tiefen Streichern. Im dritten Satz punktet die differenzierte Dynamik des cantabilen Andantinos, aber die virtuosen Klavierparts klingen mulmig.
Die Einleitung der Prager besticht in ihrer narrativen Eleganz. Doch schon die Pauke leidet akustisch. Das bewegte Hauptthema schwelgt in der Balance der Register, das Seitenthema punktet durch reiche dynamische Differenzierung. Und wenn Akzentuiertes gegen Lyrisches steht? Kommt die Oboe in der Exposition schön zur Geltung, überschlägt sie sich im Verbund mit der Flöte in der Reprise. Der zweit Satz bestätigt den Eindruck, forcierte Kraft wird schnell schrill. Dort, wo es entspannt federt, funktioniert auch die differenzierte Registerarbeit, was dem Charakter des Satzes zugute kommt.
Am besten kommt das c-Moll-Konzert zur Geltung. Sei es, dass es von den musikalischen Parametern besser im Raum liegt, sei es, dass man sich selbst auf seinem Platz im vorderen Randbereich eingehört hat. Zwingend der Sog in die Landschaft aus Schwingen und dramatischem Disput in der Exposition, bevor das Klavier allein eine neue Erzählung einbringt und sich in innige Kommunikation mit dem Orchester begibt mit seinen aparten Figuren im Holz.
Wie im lieblichen Volkston scherzt das Soloinstrument im Rondo des Larghettos mit seinem Tutti-Part. Leif Ove Andsnes gestaltet das als eine überaus liebliche Aria, um in schönen harmonischen Varianten zu schwelgen. Neckisch verspielt steigert sich die Kommunikation in den vielfältigsten Varianten edlen Zusammenspiels im abschließenden Allegretto. Die Begeisterung im Publikum ist so groß, dass eine Klavierkonzert-Draufgabe im Sinne aller Amadeus-Freunde mit Forman-Sozialisierung unausweichlich ist.
Vielleicht handelt es sich bei der Kritik an der Saal-Akustik ja auch nur um die Höreigentümlichkeit eines Rezensenten, der meint, dass Orchester mit angepassten Strategien auf den jeweiligen reagieren müssen. Auf jeden Fall sollte ein Problem gelöst werden, das wahrscheinlich leicht behoben werden kann: Die schweren Türen im eingehängten Glaskubus verursachen enorme Schließgeräusche, die während eines Konzertes recht störend in den Saal eindringen. Diese sollten leicht so weit abgefedert oder -gedämmt werden können, dass eine Übertragung ausbleibt. Auf jedem Fall ist das Neue am Haus ein großer Wurf und aller Anstrengung wert, die damit verbunden sein mag.
Mozart+Fest – endet heute Sonntag (23.10.) – mozarteum.at/mozartfest
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher