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Apfelregal. Oder der König treibts mit der Sängerin

HINTERGRUND / FESTTAGE ALTER UND NEUER MUSIK

27/09/22 Nein, nicht König Charles III, sondern ein Kollege aus dem Mittelalter. Dazu eine Komponistin des 9. Jahrhunderts, ein wenige Jahrhunderte jüngerer Mönch als Liebhaber und die Umtriebe der florentiner High Society auf der Fluch vor der Pest: Von 29. September bis 2. Oktober lädt die Paul Hofhaymer-Gesellschaft, einmal in Goldegg fünfmal inSalzburg, zum Festival alter und neuer Musik.

Von Heidemarie Klabacher

Die Carmina Burana kennt man vor allem in der – mitreißerischen – Variante von Carl Orff. Dabei ist das Ganze viel älter. Zugrunde liegt die gleichnamige Liederhandschrift entstanden um 1230 in einem Bayrischen Kloster. Ziemlich alt also das Ganze. Dennoch zu allen allen Zeiten immer wieder brandneu. Unter dem Titel Carmina Burana Today eröffnen am Donnerstag (29.9.) in der St. Erhard Kirche die Ensembles Candens Lilium und Les Haulz et les Bas das Festival. „Die Berühmtheit der Orff'schen Kantate kann den offenen Blick auf den hohen Wert der ursprünglichen Musik in der Benediktbeuerischen Handschrift versperren“, sagt der musikalische Leiter Norbert Rodenkirchen. Das Originalmanuskript enthalte „viele erlesene Meisterwerke mittelalterlicher Dichtkunst und melodischer Erfindung“, die Carl Orff teils noch gar nicht kennen konnte, „weil die Handschrift zu seiner Zeit musikwissenschaftlich noch kaum erschlossen war“. Viele Texte, darunter zum erstaunlich aktuellen Thema Korruption sind auch bislang nur Experten bekannt.

Rodenkirchen hat viele Nummern der Carmina aus den mittelalterlichen „Neumen“ in moderne Notenschrift übertragen. Im Mittelpunkt seines aktuellen Programmes – das auch auf CD vorliegt – steht der Protest, „das Aufbegehren gegen die zum Himmel schreiende Korruption und den Geiz des Klerus“. Ein weiteres Thema sei „die frühlingshafte Erotik in einer Reihe von außerordentlichen Frauenstrophen“. Es gebe „bemerkenswert viele solcher Frauenstrophen, welche bisher gar nicht beachtet oder teils falsch übersetzt wurden“. So werde bei Carl Orff fantasiert, „die Königin von England läge in den Armen des sehnenden Sängers, während es doch in Wirklichkeit eindeutig der König von England in den Armen der sehnenden Sängerin ist.“

Weiter geht es am Freitag (30.9.) auf Schloss Goldegg mit Il Decamerone. vita e morte. Philipp Lamprecht, Musiker, Musikwissenschaftler und Leiter der Internationalen Paul Hofhaymer-Gesellschaft, hatte die Idee zu diesem „Musiktheater nach Giovanni Boccaccio für zwei Schauspieler*innen und drei Musiker*innen“. Der Stoff ist Weltliteratur. „Junge Leute fliehen vor der Pest, ziehen sich aufs Land zurück und genießen lustvolle Tage, frei von Beschwerden“, fasst Lamprecht bündig zusammen. „Im Zentrum stehen die Gegensätze Tod und Leben, Ernsthaftigkeit und kecker Witz, Liebeskummer und gelebte Begierde. Die selten zu Gehör gebrachte großartige Mehrstimmigkeit der Trecento-Musik wird verwoben mit den jeweiligen Szenen.“

Zwischen dem Jahr 900 und dem Jahr 2022 liegt die Entstehung der Werke, die am Samstag (1.10.) wieder in St. Erhard im Salzburger Nonntal erklingen: Durch das Programm ziehen Werke der antiken Komponistin Kassia. Nie gehört? „Kassias Musik wird im Gegensatz zu jener Hildegard von Bingen nur langsam Bestandteil historischer und zeitgenössischer Aufführungspraxis“, heißt es im Programmheft. „Sie ist gerade in unseren Gefilden noch eher unbekannt, wie byzantinische bzw. die Musik der Ostkirchen überhaupt. Ihr Lied I hate silence when it is time to speak, das dem Abend sein Motto leiht, ist ein Kassia zugeschriebener Ausspruch, mit dem sie sich, der Legende zufolge, als Gemahlin-Anwärterin des Kaisers, sprechend um diese Möglichkeit gebracht haben soll.“

Zwischen Kassias sakralen Werken erklingen Stücke von John Croft und Hans Werner Henze, aber auch zweier weiterer Komponistinnen, Annette Schlünz und Sofia Gubaidulina. Die Uraufführung: Federico Campanas Twenty Whispers für drei Frauenstimmen, Kontrabass, Live-Elektronik und Fixed Media. Der Mönch von Salzburg darf im Umfeld der Internationalen Paul Hofhaymer-Gesellschaft nie fehlen. Am Sonntag (2.10.) gibt es in einer Matinee die CD-Präsentation The Anonymous Lover mit dem Duo Enßle Lamprecht und seinen Gästen. Zur Uraufführung kommt etwa von José María Sánchez-Verdú Libro de unicornios für Blockflöten und Schlagwerk.

Das Apfelregal aus dem Texttitel ist natürlich keine Obststeige, sondern eine ganz besondere Orgel. Details verrät das Programmheft: „Anno 1506 ließ Kaiser Maximilian I. (1459 bis 1519) für seinen bereits zu Lebzeiten hochberühmten Hoforganisten Paul Hofhaymer (1459 - 1537) ein Apfelregal erbauen.“ Den Namen geben der Tischorgel viele verschieden große kugelige Resonanzkörper aus Apfelholz. Hans Weiditz schuf 1519 den bekannten Holzschnitt mit Kaiser, Hofkapelle und Hoforganisten an der Apfelorgel. „Anhand dieser bemerkenswerten Abbildung hat der österreichische Orgelbauer Christian Kögler aus St. Florian Kaiser Maximilians Apfelregal minutiös rekonstruiert und so als bis dato einziger Orgelbauer dessen strahlend sonoren Zungenklang in unseren Tagen wieder zu neuem Leben erweckt.“

Peter Waldner spielt Sonntag nachmittags in St. Erhard auf dem rekonstruierten Apfelregal Europäische Orgelmusik vor, um & nach 1500. Den Abschluss des Festivals, ebenfalls am Sonntag (2.10.) aber im Toihaus, gibt das Ensemble Meitar aus Tel Aviv mit Werken israelischer Komponistinnen und zwei Uraufführungen. Philipp Lamprecht zu diesem Programmpunkt: „Seit langem ist es der Wunsch der Hofhaymer Gesellschaft, international zu kooperieren und durch den Austausch Horizonte zu erweitern. Dies gelingt uns nach coronabedingter Verschiebung seit 2020 endlich im Jahr 2022, indem das erstklassige Ensemble Meitar eine Österreich-Tournee gibt und dabei auch Halt in Salzburg macht.“

Internationale Paul Hofhaymer-Gesellschaft - Salzburger Festtage alter und neuer Musik von 29. September bis 2. Oktober – www.hofhaymer-society.at
Bilder: www.hofhaymer-society.at; www.orgelbau-koegler.at (1)
Zur CD-Kritik Überlegt gefüllte Freiräume

 

 

 

 

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