Hineinschnuppern ins „neue“ alte Mozarteum
CAMERATA / SOMMERKONZERT
16/07/22 Die Camerata Salzburg zu ungewohnter Zeit. Ein Sommerkonzert in Salzburg Mitte Juli hat es noch nicht gegeben. Nach elf Monaten Spielpause wegen der Restaurierungsarbeiten also wieder Musik im Großen Saal des Mozarteums, garniert von Rolando Villazón mit der ihm eigenen Euphorie.
Von Erhard Petzel
Der Anlass bot die Gelegenheit, im Großen Saal und drumherum den Stand der Dinge zu betrachten und zu erfühlen. Nun war dieser Konzertsaal selbst ja noch kein hässliches Entchen. Man muss schon genauer schauen, auf den Boden, aufs Podium und auf die Sitzreihen. Die Bestuhlung hat ihr Aussehen grundsätzlich erhalten, sodass man die Anpreisung größerer Reihenabstände mit Skepsis annimmt. Die Halterungen für Scheinwerfer neben dem Orgelprospekt sind nun eleganter eingearbeitet, die Bühne ist gut beleuchtet, die Möbel sind entknarzt. Der Raumklang ist rund und satt und dankbar für musikalische Agogik. Die Saallüftung dürfte ihren Hang zur Pneumonie abgelegt haben.
Mit der Ballettmusik aus Idomeneo eröffnete die Camerata die neue Spielagenda des Hauses und ließ Mozarts Klangkosmos geballt darauf los. Die Registerflächen kamen ausgewogen, die Reigen durch die Register schmiegten sich freundlich aneinander, die explosive Dynamik ließ Freude aufkommen. Einzelne Stimmen wurden aber auch gerne einmal zugedeckt. Ein barockes Grave hat das Orchester zur furiosen Schlussstretta gesteigert.
Zu Mozart passend angeschlossen das Harfenkonzert von François-Adrien Boieldieu (1775-1834) in der ergänzten Fassung Jean-Philippe Navarres von 1994. Vom ursprünglichen Notenmaterial waren nur Solostimme, Violine 1 und Bass erhalten. So wurde ein liebliches und freundliches Stück Musik mit liedhaftem Seitenthema und neckischer Schlussgruppe zugänglich gemacht. Tritt die Harfe zunächst in Dialog mit dem Orchester, verurteilt sie dieses bald zur Begleiterrolle, schwingt sich zum Alleinunterhalter auf, um danach über Klangflächen zu perlen. Dem Orchester bleibt ein bisschen Gliederungsarbeit. Da darf die Harfe jeweils kurz rasten. Der langsame Satz hebt im düsteren Unisono an und treibt zur dramatischen Harfenarie, Wehmut im warmen Klangmantel. Im Marsch, abgewechselt mit ausgefuchster Rhetorik einer Solopredigt, schließt der letzte Satz unmittelbar an. Xavier de Maistre hat das Publikum so zu frenetischem Applaus angestachelt, dass es eine typische Solozugabe gab. Aus der opernhaften Einleitung schälte sich bald heraus, wo der musikalische Hund begraben liegt, nämlich im Carneval de Venice.
In der Pause dann der neugierige Blick in den Zubau, der noch nicht fertiggestellt ist, aber seine Reize bereits offenbart. Statt sich mühsam durch den Buffet-Raum in den Garten zu quälen, wird man vom großzügigen Durchgang in einen Glaspalast geleitet, in dem lediglich die Mauern des ursprünglichen Baus nicht von Licht durchflutet sind. Der Glasboden schimmert im Muster wie transparenter Damast und lässt das Licht in den ehemaligen Hof darunter, der diesmal noch die Leute zum Buffetgenuss sammeln musste. Der Weg in den neu gestalteten Bastionsgarten ist ja noch nicht freigegeben. Wer immer sich skeptisch gegen den Eingriff in die historische Substanz positioniert haben sollte, wird vom räumlichen Befreiungsschlag und den neu geschaffenen Durchgängen und Ausblicken begeistert sein. Lediglich in der Gestaltung des Keller-WCs mag man vorerst keinen Vorteil erkennen, zumindest auf der Männerseite. Vielleicht haben ja die Damen endlich den Raum, um der erniedrigenden Schlangenbildung zu entgehen.
War im ersten Teil des Konzerts die Führung des Orchesters durch Gregory Ahss vom Konzertmeisterpult aus recht selbstverständlich, zweifelte man bei Beethovens Siebenter Symphonie A-Dur op. 92 doch etwas, ob das ausreichen mag. Es war ein so gewagtes wie aufschlussreiches Unterfangen. Die demokratische Eigenverantwortung des Musikers provozierte eine besondere Wachheit in den Reaktionen aufeinander. Ein Klang von herbem Charme zwischen spröder Kommunikation und gemeinsamer Natürlichkeit, wo einerseits überraschende Klangdynamiken zum Tragen kamen, die ein Maestro vorneweg vielleicht verbannt hätte, andrerseits melodiöse Strukturen auch gerne einmal etwas überstimmt wurden. Die Interpretation des Finalsatz suchte an Brutalität ihresgleichen und wies auch für den heutigen Hörer den genialen Spinner in Beethoven aus. Jedenfalls zeigte sich das Publikum von diesem Hardcore-Beethoven begeistert und feierte ausgelassen die Camerata, die ihm diesen dynamischen Abend beschert hat.