Nicht kleckern, sondern klotzen
KULTURVEREINIGUNG / GÖTEBORGS SYMFONIKER / ROUVALI
28/02/19 Wenn Schweden ein Orchester auf Tournee schickt, dann das Aushängeschild: Am Mittwoch (27.2.) begeisterten Göteborgs Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Santtu-Matias Rouvali in der Felsenreitschule. Klaviersolistin überm Sternenzelt war Alice Sara Ott.
Von Horst Reischenböck
Es ist ein Spitzenklangkörper, auch im weltweiten Vergleich. Gerühmt von beispielsweise Leopold Hager, der erst kürzlich mit Göteborgs Symphonikern Bruckners Achte erarbeitete. Im Ausland zu Gast, bieten die Schweden Schwedisches, wie etwa die Tondichtung Liguria der Komponistin Andrea Tarrodi. Die der jugendlich schlanke, blond gelockte „shooting star“ unter Finnlands Dirigenten, der 1985 geborene Santtu-Matias Rouvali, beschwor diese Meeresbilder schwungvoll und mit raumgreifenden Gesten.
„Und es woget und wallet und brauset und zischt...“ Friedrich Schillers Worte könnten als Motto über der gut zehnminütigen Miniatur stehen. Meterhohe Wellen, mit vollem Klang dem umfangreichen Instrumentarium abgerungen oder auch aufgezwungen – Andrea Tarrodi muss an der italienischen Küste einen Tsunami erlebt haben. Dann aber beruhigt sich die Szene pastoral mit einem Englischhornsolo und mündet letztlich in Glockentöne. Kirchlich: Genau wie es die Komponistin als erklärenden Leitfaden mitgibt. Gedanken an weidende Kühe wären jedoch auch nicht abwegig... In Summe melodischer Post-Impressionismus, der keine Verständigungsprobleme aufwirft und von den damit konfrontierten Zuhörern positiv bewertet aufgenommen wurde.
Danach trat Alice Sara Ott, wie üblich barfuß, aufs Podium. Einer Erkrankung wegen gezwungen, ihr Programm abzuändern, spielte sie statt Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll jenes von Maurice Ravel: ein vor allem in den Ecksätzen forderndes Werk. Nach aufrüttelnd zündendem Einstieg ins Allegramente mit seinen steten Wechsel zwischen hämmernden Kaskaden und Glissandi, schiebt sich spät eine beruhigend lyrische Episode ein. Das finale Presto ist gespickt mit Prokofjew-ähnlich virtuosen Läufen: Die Solistin neigte bei aller gebotener Brillanz zu nachdenklicher Zurückhaltung. Dirigent Rouvali stand ihr aufmerksam zur Seite. Aber mit dem Adagio assai entführte Alice Sara Ott in höhere Sphären. Entführte, in sich versunken, grandios abgeklärt, in eine von melancholisch gefärbtem Abschied getränkte Sternenwelt. Zum Hinknien schön, selten noch so ätherisch zu vernehmen gewesen. Dazu passte wundersam die Zugabe, Frédéric Chopins Nocturne cis-Moll.
Nach der Pause gingen die Schweden zum Großangriff über – mit Igor Strawinskys Ballettmusik Petruschka, entstanden 1911 und 1947 vom Komponisten für eine kleinere Besetzung überarbeitet. Es wären aber nicht Göteborgs Symphoniker, wenn sie ihr Aufgebot auf Strawinskys Sparversion von 47 Instrumenten abgespeckt hätten. Ganz im Gegenteil: Mit neun Kontrabässen, elf Celli und sinngemäß steigenden Geigenzahlen wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Das knallte satt, voluminös, süffig. Und doch erklangen, ihrem perfekten Können entsprechend, dazwischen subtil die Orchestersoli. Dirigent Santtu-MatiasRouvali differenzierte, gliederte hingebungsvoll alle Details und dankte zuletzt, im Gedenken an seine eigene Heimat, rubato-trunken mit Jean Sibelius' Valse triste.