Bußpsalmen in aller Pracht und Kraft
CD-KRITIK / ORLANDO DI LASSO
18/02/15 Mit solcher Musik lässt eine Fasten- und Besinnungszeit locker durchstehen: Die Bußpsalmen von Orlando di Lasso gehören zum Wirkungsvollsten und rhetorisch Einprägsamsten dieser Epoche. Das Ensemble „dolce risonanza“ hat dazu ein Bild sehr genau angeschaut…
Von Reinhard Kriechbaum
Mit historischen Bildquellen, die Musik betreffend, ist es so eine Sache. Hatte der jeweilige Maler eine konkrete Aufführungssituation vor Augen, oder folgt die Darstellung eher illustrativen und dekorativen Vorstellungen? Schwingen gar ikonographische Ideen mit? Jedenfalls ist es immer ein wenig gefährlich, Bilder eins zu eins umzusetzen – aber oft ist es auch einen Versuch wert.
Orlando die Lassos „Psalmi Davidis Poenitentiales“ sind eine Musik, die lange Zeit der Nimbus des Außergewöhnlichen umweht hat. Im Auftrag des Herzogs Albrecht V. sind sie 1560 entstanden, niedergeschrieben in einer Prachthandschrift mit Miniatur-Illuminationen des Münchner Hofmalers Hans Mielich. Nur dem Monarchen waren diese Handschrift und die Musik überhaupt zugeeignet. Der Codex landete in dessen Wunderkammer und der Komponist durfte die Bußpsalmen nicht veröffentlichen. Erst 1584, fünf Jahre nach dem Tod des Bayernherzogs, kamen sie in Druck heraus.
Wie nun muss man sich die Aufführung von Musik dieser Art vorstellen? Als eine Art Kammermusik, mutmaßt Florian Wieninger, der Leiter des Ensembles „dolce risonanza“. Natürlich sind Instrumente mit den Singstimmen mitgegangen, und wenn man der berühmten Darstellung aus diesem Codex glauben darf, dann war es ein buntscheckiges Instrumentalensemble: Zu den beiden Violinen kommen exotische Prototypen wie Tenor- und Bassbratsche. Die Bläser sind mit „stillem“ Zink, Traversflöte, Cornamuse, Bassblockflöte und Bassposaune farbenreich, aber (wie sich in dieser Aufnahme zeigt) geschmeidig und in der Lautstärke überhaupt nicht aufdringlich besetzt. An finalen Höhepunkten setzen Krummer Zink und Rackett (eine Fagott-Vorform) Akzente. Die Aufführungssituation, mit den Musikern und Sängern um einen Tisch mit Virginal als Tasteninstrument, wurde für diese Einspielung nachgestellt. Wie fein die Mixtur aus alten Instrumenten klingt, dem kann man in zwei kürzeren instrumental ausgeführten Stücken nachlauschen.
1560 ging das Tridentinische Konzil gerade in die Endphase. Palestrinas Stil der Polyphonie wurde damals zur musikalischen Doktrin erklärt. Orlando di Lassos Bußpsalmen erfüllen mindestens wie Palestrinas Schöpfungen den Ruf nach verständlicher Textausdeutung. Das Vokalensemble „Profeti della Quinta“ – bloß sechs Stimmen zu dem beachtlichen Arsenal an Instrumenten, das doch akustisch nicht nach vorne drängt – setzt das um, indem auch die Verzierungskunst, das Diminuieren, zu seinem Recht kommt. Dieses improvisierende Auszieren war ja damals auch in der polyphonen Musik statthaft und üblich, wird aber in heutigen Wiedergaben meist nur sehr zurückhaltend angewandt. Die ausufernden Bußpsalmen di Lassos (der längste, „Domine exausi orationem meam“, dauert 28 Minuten!) mit ihren zahlreichen Episoden verminderter Stimmenzahl gestatten viel Freiraum für die Auszierung, an der die Instrumentalisten regen Anteil nehmen.