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Sei trotzdem fröhlich, meine Seele...

CD-KRITIK / PROTESTANTISCHE KIRCHENLIEDER

30/10/14 Johann Hermann Schein steht 1624 an der Bahre seiner ersten Frau Sidonia, die ihm fünf Kinder geboren hat – und er schreibt den Kantionalsatz „Sei fröhlich, meine Seele“. Höchst eigenartig für unsere Ohren – aber es entspricht der Vorstellung damals, die im irdischen Dasein bloß einen mühseligen Wegabschnitt in eine bessere Welt sah.

Von Reinhard Kriechbaum  

Einige Sterbelieder aus Johann Hermann Scheins berühmter Kirchenliedersammlung „Cantional oder Gesangbuch Augspurgischer Confession“ sind konkreten Trauerfällen im Hause des Komponisten zuzuordnen. Von seinen zehn Kindern haben ja nur zwei das Erwachsenenalter erreicht. Zum Tod von Töchtern hat Schein nicht nur fünfstimmige Liedsätze geschrieben, sondern auch die Texte selbst verfasst. Und da zeigt sich ein liebender Vater, der über das von der Religion nahegelegte Jenseits-Vertrauen hinaus sehr wohl die eigene Betroffenheit hat einfließen lassen. Auffallend unprätentiöse Texte sind das, jedenfalls in jener Strophenauswahl, die Hans Christoph Becker-Foss mit seinem Nicolai-Ensemble Hameln getroffen hat.

Die Doppel-CD „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ enthält zwei unterschiedliche Anthologien. In der einen geht es um Kirchenlieder „von Martin Luther bis Bach“: eine Zusammenstellung klassischen protestantischen Liedguts durchs Kirchenjahr.

Wir haben diese Literatur weitgehend so im Ohr, dass ein mehr oder weniger stilkundiger Organist die singende Gemeinde im Wortsinn hinter sich herschleppt. Die Gesänge gewinnen außerordentlich an Kontur, wenn es Sänger ernst meinen mit der Deklamation und wirklich Strophe um Strophe den Text mit hoher Aufmerksamkeit ausgestalten. Da legt man das Booklet gleich wieder weg – man braucht nicht mitzulesen, sondern versteht jedes Wort. Alles ist rhetorisch sinnfällig ausgefeilt.

Nicht zufällig hat man ein historisierendes Bild (aus dem 19. Jahrhundert) fürs CD-Cover gewählt: Martin Luther spielt die Laute, im Kreis einer singenden Familie. Auch das Nicolai-Ensemble Hameln wählt meistens die Laute als instrumentale Stütze. Die Orgel kommt, wenn überhaupt, nur in sanft gedacktem Register dazu. Nichts also steht dem gesungenen Wort entgegen. In der Gruppe darf schon mal eine Männerstimme ein wenig vorlaut sein. Das mag sogar ans gemeinschaftliche Singen damals erinnern und somit die Authentizität erhöhen. Man wechselt gerne bei den Strophen, zwischen mehrstimmig und einstimmig, auch in solistischen Strophen zwischen Frauen- und Männerstimme. Und manchmal sorgen in den Strophen auch Liedsätze unterschiedlicher Komponisten gewählt.

Die zweite CD gilt allein Scheins „Cantional“ und enthält neben den „Christlichen Sterbeliedlein“ für Frau und vier der Töchter eine Auswahl an Psalmliedern. Für 22 der insgesamt 38 vierstimmigen Psalmlieder hat Schein nicht nur Melodie und Satz, sondern auch den Text selbst geschrieben. Als Textdichter ist er – altersmäßig der mittlere der großen „Sch“ seiner Zeit (Schütz Schein, Scheidt) wahrscheinlich noch gar nicht seiner Leistung entsprechend gewürdigt.

Wer nur den lieben Gott lässt walten. Kirchenlieder von Luther bis Bach. Nicolai-Ensemble Hameln, Leitung und Orgel Hans Christoph Becker-Foss. Ambiente ACD-3031 – www.ambiente-audio.de

 

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