Das grandios geordnete Chaos
CD-KRITIK / LEONHARD LECHNER
03/10/13 Leonhard Lechner (1553-1606) galt viel im Nürnberg des Jahres 1582. Damals wurde Prominenten-Hochzeit gefeiert. Braut und Bräutigam waren Kinder aus zwei angesehenen Familien der Stadt, die auch Bürgermeister stellten. Da war das Beste gerade gut genug.
Von Reinhard Kriechbaum
Und die Musik von Leonhard Lechner rechnete damals zum Besten weitum. Er hatte nicht nur die handwerkliche Meisterschaft eines Orlando di Lasso (seines Lehrers) anzubieten, sondern obendrein in Venedig auch das Wissen um die Wirkung der Vielchörigkeit erworben. Der aus Anlass dieser Hochzeit komponierten „Missa super Domino, Dominus noster“ hört man das an.
Ein echtes Highlight ist aber die ebenfalls zu dem Anlass entstandene 24stimmige Motette „Quid Chaos“. Da wirft die allegorische Liebe dem Chaos vor, dass es die Ordnung aus den Angeln hebe. Chaos verteidigt sich vehement. Die Menschen selbst seien aus sich heraus Böse, „Amor, beschuldige diese!“ Da mengt sich Gott ein und schlägt in dieselbe Kerbe: Vom „gottgleichen Wesen“, wie er es geschaffen hat, habe sich die Spezies Mensch meilenweit entfernt. Schon will sich die Liebe davon machen aus dieser Welt, denn „hier ist kein Ort für die Liebe“. Aber sie wird überredet, zu bleiben. Schließlich ist „Quid Chaos“ ja ein Werk für eine Hochzeit! Für die Liebe sei ja doch ein gutes Sein bei denen, die durch Freundschaft und Ehe verbunden seien.
Ganz wunderbar, wie eindringlich Leonhard Lechner das in „Dolby surround“ durchführt, in drei Chören mit je acht Stimmen. Die dicht gearbeitete Vielstimmigkeit geht nie auf Kosten der Textverständlichkeit, denn die Stimmen treffen sich in den entscheidenden Textpassagen. Diese Textklarheit ist freilich auch der Interpretation geschuldet: erstaunliche Fülle trotz geringer Sängerzahl. Wilfried Rombach setzt hier (und in einer weiteren Motetten-Blütenlese) auf reine Vokalbesetzung, im Gegensatz zur Messe, in die Zinken und Posaunen Glanz einbringen.
„Staatstragende“ Musik, fürwahr, auf die der Nürnberger Stadtrat auch gerne zurückgriff, als es galt, eine respektable diplomatische Fraktur mit dem dänischen Königshof per Tonkunst einzurenken: Der Dänenkönig hatte einen Renaissance-Bronzebrunnen in Nürnberg bestellt, jahrelang war nichts weiter gegangen mit dem Auftrag. Zur Beschwichtigung des erregten königlichen Gemüts ließ man also von Leonhard Lechner eine Huldigungsmusik schreiben, die so genannten „Kroneborg-Motetten“ (1583).
Zum Abschluss dieser Blütenlese ein weiteres Gustostück der Vielstimmigkeit: ein „Laudate Dominum“ à 15 voci, bei dem wiederum mit Zinken und Posaunen, Dulzian, Gambe und Orgel alle Register repräsentativen Effekts gezogen werden.
Leonhard Lechner wird, so scheint es, weit unter seinem Wert geschlagen. Die durchkomponierten Passionen, die „Sprüche von Leben und Tod“ – das sind Herausforderungen, denen sich Chöre nicht so oft stellen. Der Salzburger Bachchor hat's vor zwei Jahren getan, und der Erfolg blieb auch damals nicht aus.