Ehrenrettung eines zu Unrecht Vergessenen
CD-KRITIK / THOMAS ZEHETMAIR
05/01/12 Der Salzburger Thomas Zehetmair ist ein international gefeierter Geiger und längst ein Dirigent von Weltrang. Als Chefdirigent der "Northern Sinfonia" und als „Artistic Director“ des St. Paul Chamber Orchestra kombinierte er Schubert mit den ersten beiden Sinfonien von Hans Gál: eine Weltpremiere.
Von Horst Reischenböck
Am 23. November feierte Thomas Zehetmair seinen 50. Geburtstag. Das größtes Geschenk hat er sich mit dieser Einspielungen vermutlich selbst gemacht: „Kindred Spirits“ – "Gleichgesinnte", "Verwandte Seelen" – ist der Titel, der sich zunächst einmal biografisch erklären lässt: War doch der aus Brunn am Gebirge stammende Hans Gál Kompositionsschüler von Eusebius Mandyczewksi und arbeitete mit diesem an der Johannes Brahms-Gesamtausgabe. Brahms wiederum hatte zu den Herausgebern der Gesamtausgabe der Werke Franz Schuberts gehört.
Auch sonst leuchtet die Verbindung ein. Reichte doch Hans Gál seine innerhalb von sechs Monaten 1927 entstandene 1. Sinfonie in D-Dur zu einem Wettbewerb ein, der von der Gesellschaft der Musikfreunde Wien und der Columbia Gramophone Company weltweit zur Schubert-Jahrhundertfeier des darauffolgenden Jahres ausgeschrieben worden war. Franz Schmidt gewann den 1. Preis, Gál den zweiten.
Thomas Zehetmair schafft mit seiner Erstaufnahme von Gáls vier klassisch orientierten Sätzen gedankliche Verbindungslinien zu Schuberts ähnlich kompakter (daher oft „kleine“ C-Dur-Sinfonie genannte) "Sechsten". Deren Finale er, durchaus eigenständig, gedanklich fast quer stehende Facetten abgewinnt. Ähnlich lyrisch und dazu im Kontrast rhythmisch pulsierend folgt er Gáls umfangreicher instrumentierten geistreichen Ideen. - Ideen, die so spontan für sich einnehmen, dass sich die Frage stellt, warum sein Werk erst jetzt - mit Hilfe der in Edinburgh beheimateten "The Hans Gál Society" - ermöglicht wurde.
Nahezu eine dreiviertel Stunde länger ist Gáls 2. Sinfonie in F-Dur. Während der Kriegsjahre 1942/43 im englischen Exil entstanden, wirkt sie konsequent auf ihre beiden ausgedehnter letzten Sätze hin orientiert. Gál verleiht im Adagio dem damaligen Schrecken gedanklich Ausdruck, lässt zum Schluss des dramatisch zugespitzten Finales aber auch friedliche Momente zu.
Das alles steht Zehetmairs Sichtweise von Franz Schuberts „großer“ C-Dur-Sinfonie Nr. 8 ebenbürtig gegenüber: Endlich einmal werden wirklich alle Wiederholungen ausgespielt. Insgesamt gelang hier eine ausdrucksstarke vom ersten bis zum letzten Ton berührende Interpretation voll einfühlsamer Sogwirkung. Eine Aufnahme mit Referenzcharakter!