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Wenn sich die Stimme dem Schweigen anvertraut

CD-KRITIK / SCIARRINO

20/12/11 Klagende Nymphen oder Sieger und Verlierer von den Schlachtfeldern der Liebe bevölkern viele „klassische“ Madrigale. Nicht so die „12 Madrigali“ von Salvatore Sciarrino: Hier geht es um  die Inseln, die Wellen, die Zikaden - und um eine neue Ökologie des Klanges. Um eine Rückkehr zur Stille.

Von Heidemarie Klabacher

„In der westlichen Kultur soll die künstlerische Sprache die Subjektivität des Künstlers zum Ausdruck bringen. Er sagt: ‚Dies ist, was ich empfinde, und diese Empfindungen gebe ich an dich weiter.’ Aber ich sehe das anders. Ich sagte nicht: ‚Das sind meine Klänge’, sondern ich sage: ‚Das sind die Klänge, die ich aufregend finde. Und du, was geschieht mit dir?’ Meine Klänge sind nicht einfach Klänge, sondern Signale. Es sind Signale der Kommunikation zwischen den Menschen.“ Das sagt der Komponist Salvatore Sciarrino.

Er komponiere nicht einfach „für Stimme“, so Sciarrino: Vorher müsse man das Denken reinigen und den Intervallen ihre Transparenz zurückerobern, die von Bergen von Gesängen, von Musik aus der ganzen Welt zugeschüttet wurden - „von all diesen gigantischen Müllhaufen, zwischen denen wir leben“. Sciarrino fordert eine neue Ökologie des Klanges, geboren aus deinem neuen Bewusstsein: „Ökologie des Klanges heißt sicher Rückkehr zur Stille, aber ganz besonders auch die Wiedergewinnung eines Ausdrucks ohne Gefühlskälte und ohne Rhetorik“.

Die „12 Madrigali“ sind beim „Kontinent Sciarrino“ bei den Salzburger Festspielen von den Neuen Vokalsolisten Stuttgart uraufgeführt worden. Der live-Mitschnitt ist bei Col Legno als Festspieldokument „Reihe Kontinent“ erschienen.

O Lerche
dem Gesang reicht nicht
ein langer Tag

Sechs Haikus des japanischen Dichters Matsuo Basho (1644-1694) liegen den zwölf Madrigali  zu Grunde: Sciarrino hat jeden Dreizeiler zweimal vertont. „So entstehen sechs verwandte Paare, die einander aber nicht unmittelbar zugeordnet, sondern zu einer Folge von zweimal sechs Stücken gebündelt sind. Die zweite Hälfte verhält sich zur ersten in der Art eines ‚ungetreuen Spiegels’.“ Das schreibt Max Nyffeler in seiner Einführung im Booklett - die 2008 schon im Programmbuch zum „Kontinent Sciarrino“ zu lesen war - und die in klarer und eleganter Sprache Erhellendes über Sciarrino als Vokalkomponisten erzählt. Die Zweitversionen seien „Neuerzählungen“, die dieselbe Geschichte auf andere Weise und mit anderen Mitteln erzählen, so Nyffeler.

Die Themen sind nicht - wie im klassischen Madrigal so oft - aus dem Bereich „Liebe und Liebesleid“ gegriffen, sondern aus der Natur: das Meer, die Inseln, die Wellen, die Felsen, die Zikaden, die Lerchen.

Komponiert wurden die zwölf Madrigali für vier Männer- und drei bwz. vier Frauenstimmen (Alt und Mezzosopran-Stimme können auch mit nur einer Sängerin besetzt werden). Die glasklare Interpretation der Neuen Vokalsolisten Stuttgart fasziniert auch im Nachhören mit absoluter Transparenz und Präzision. Im Sommer glitzernde Tropfen im Regenbogen, im Winter glitzernde Funken im Schneekristall. Perfekter können Sciarrinos Anforderungen an „Klangökonomie“ nicht erfüllt werden - in dieser Grundhaltung der Präzision und Transparenz gesanglich aber auch nicht opulenter und klangsinnlicher. „12 Madrigali“ - ein Referenzwerk für das was Komponieren „für Stimme“ heute sein kann (Sciarrino arbeitet quasi mit ganz „klassischer“ Stimmgebung und Stimmerzeugung) und die dazugehörige Referenzaufnahme.

Salvatore Sciarrino: 12 Madrigali. Neue Vokalsolisten Stuttgart. Col Legno/Salzburger Festspiele “Reihe Kontinent”. WWE 1CD 20287.

 

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