Neue Helden, neuer Glanz
HÖRVERGNÜGEN / BERNHEIM / DE TOMMASO / TETELMANN
01/09/22 Wer liebt sie nicht – die Tenöre. Die strahlenden Helden der Oper. Viele ihrer Arien sind hitverdächtig geworden. Drei neue, erfolgreiche und aufstrebende Sänger ihres Fachs präsentieren sich aktuell auf CDs mit berühmten Arien-Schlagern und spannenden Raritäten.
Von Andreas Vogl
Die Geschichte der Schallplattenindustrie mit ihren akustischen Dokumenten großer Stimmen ist voll von legendären Tenorstimmen. Einst war es Enrico Caruso, der als einer der ersten Opernsänger für das Grammophon zuhause seine Stimme auf Schellacks verewigte und den Beginn der Kommerzialisierung von Opernaufnahmen markierte. Es folgten Richard Tauber oder Benjamino Gigli, später Giuseppe di Stefano und Luciano Pavarotti. Letzterer schaffte es regelmäßig sogar in die Pop-Charts und begeisterte Massen, nicht nur live sondern gerade auch auf dem Medium CD. Mittlerweile kann Jonas Kaufmann, unter anderem mit seinen Crossover Projekten vom Italo-Schlager bis zum Wiener-Lied ähnliche Marketingerfolge einfahren.
Drei junge Tenöre, allesamt erst in ihren Dreißigern, stellen sich zur Zeit dem CD- (und Opern-) Publikum vor und haben jeweils hörenswerte, ganz unterschiedliche Solo-Alben vorgelegt.
Benjamin Bernheim, 1985 in Paris geboren, brilliert im lyrischen Fach der französischen und leichten italienischen Oper. Für seine aktuelle CD Boulevard des Italiens bei der Deutschen Grammophon blickt er zurück auf die Zeit der Pariser Oper im 19. Jahrhundert, als Sänger in der jeweiligen Landessprache ihre Rollen erarbeiteten und selbst original italienisch komponierte Rollen auf französisch gesungen wurden.
Fachmännisch hat er dafür sogar das Institut Palazzetto BruZane in Venedig zur Rate gezogen. Das hat durchaus Vorteile, weil seine gar nicht so dramatische Stimme bei Rollen wie Cavaradossi in Puccinis Tosca (O de beautes egale dissemblance feconde) oder Pinkerton’s Adieu, séjour fleuri in der Madame Butterfly im französischen Sprachduktus viel besser anschlägt und eine ganz besondere Leichtigkeit vermittelt. Original für Paris geschriebene Werke wie Don Carlos von Verdi (Auftritts-Arie und das Duett mit Posa gesungen von Florian Sempey), Donizettis La fille du Regiment mit der berühmten Tonio-Arie und den neun hohen C’s sowie Verdis Jerusalem und Les vepres siciliennes beweisen wie flexibel Komponisten für die Tenorstimmen der damaligen Zeit gedacht haben. Raritäten aus Cherubinis La vestale und Mascagnis Amica ergänzen bravourös die vom Orchestra del Teatro Communale di Bologna unter Frederic Chaslin begleitete CD.
Freddie de Tommaso ist den Salzburgern von seiner Teilnahme am Young Singers Project der Salzburger Festspiele bekannt. Der britisch-italienische Tenor gewann auch den Plácido-Domingo Gesangswettbewerb und ist seit 2020 im Ensemble der Wiener Staatsoper. Nach einem Album mit italienischen Canzonen stellt er sich nun bei DECCA mit Arien und Duetten aus Puccinis Tosca, Madama Butterfly und Turandot sowie Bizets Carmen vor. Mit jeweils wechselnden Gesangspartnerinnen taucht er in das herausfordernde Metier der großen Verismo-Partien ein.
Gemeinsam mit der fabelhaften Lise Davidsen gestaltet er das Duett im ersten Akt Tosca mit sorgfältiger Akzentuierung und schönen Kantilenen. Das E lucevan le stelle, welches Bernheim auf französisch hauchzart singt, nimmt de Tommaso mit satterer Stimme. Ebenso die berühmteste aller Tenorarien Nessun dorma aus Turandot. Hier würde man sich noch etwas mehr Stimmbrillianz und -glanz wünschen. Es folgt Duett und Arie Addio fioritio asil aus der Butterfly gemeinsam mit Natalia Romaniw. Für den Don José in Carmen hat er sich neben der Arie La fleur que tu m’avais jeté auch das dramatische Schlussduett vorgenommen. Aigul Akhmetschina ist seine Carmen. Der Dirigent Paolo Arrivabeni hebt im Philharmonia Orchestra besonders die fernöstlichen Schlagwerke hervor. Alles in allem ein wohl von der Plattenfirma zwecks Verkäuflichkeit ausgesuchtes Programm, es wird de Tommaso’s großem Stimmpotenzial nur bedingt gerecht.
Schließlich wird nun auch, der bereits in der hier vor kurzem besprochenen Kritik über die DVD von Francesca da Rimini aus der Deutschen Oper Berlin hervorgehobene amerikanisch-chilenische Tenor Jonathan Tetelmann sein Debüt-Album bei der Deutschen Grammophon herausbringen. Seine Stimme ist baritonaler gefärbt, erinnert ein wenig an den jungen Kaufmann. Auch er fühlt sich in den Verismo Rollen am wohlsten, überzeugt aber auch mit dramatischem Spinto als Manrico in Verdis Il trovatore und Jacopo Fiesco in I due Foscari oder als Alvaro in La Forza del destino. Natürlich darf auch das herrliche Liebesduett aus Zandonais Francesca da Rimini nicht fehlen. Zauberhafte Lyrismen mit starken tenoralen Ausbrüchen machen es gemeinsam mit Vida Mikneviciuté (in Salzburg 2021 als Chrysothemis in Elektra zu hören gewesen) als Francesca zu einem Highlight der Aufnahme. Arien aus Flotow’s Martha, Clieas Adriana Lecouvreur, Giordanos Andrea Chénier, sowie französisches aus Carmen und Werther lassen hier hoffen, dass er mit seiner ausdrucksstark geführten Stimme und gemeinsam mit seinem vorteilhaften Aussehen und schauspielerischen Talent ein großes neues Publikum für die Opernhäuser begeistern wird.
Fazit: Die Zukunft der Oper scheint mit solchen Tenorstimmen zumindest für das gängige Fach gesichert. Ausflüge der neuen Tenöre ins unbekanntere Fach sollten Opernintendanten überzeugen, auch einmal die abgetretenen Wege des Repertoires zu verlassen und Stücken wie La vestale, La Gioconda oder Francesca da Rimini eine Chance in den Spielplänen zu geben.
Benjamin Bernheim: Boulevard des italiens. Orchestra del Teatro Communale di Bologna, F. Chaplin. DG 028948619641
Freddie de Tommaso: Il Tenore. Philharmonia Orchestra, P. Arrivabeni. Decca 028948529452
Jonathan Tetelmann: Arias. Orchestra Filarmónica de Gran Canaria, K.M. Chichon. DG 028948629275 (Veröffentlichung 12. August)