Pauken und Trompeten – Himmel und Hölle
CD-KRITIK / REQUIEM
27/01/22 Grabgesang auf die Mozartwoche? Nicht nötig. Auf die Schreck-Sekunde nach der zweiten Absage folgte ein digitales Festival. Und „Requiem“ passt immer. Nicht nur zu Mozarts Todestag im Dezember. Was Howard Arman mit der Akademie für Alte Musik Berlin auf CD „aufführt“ ist Sprengstoff pur. Nehmen wir's als explosives Geschenk zu Mozarts Geburtstag – heute am 27. Jänner.
Von Heidemarie Klabacher
Dass der Tag der Rache wie aus dem Nichts hereinbricht über Mensch und Welt, das gehört sich so. Diese Schrecksekunde erwartet man. Die Steigerung auch: Das Requiem aeternam zu Beginn fromm verhalten. Die Kyrie-Rufe bereits angetrieben von der Kraft der Verzweiflung und, in diesem Falle besonders auffällig, von spürbar gewaltbereitem Protest. Das Dies irae dann mindestens ein Tsunami. Ein Angriff auf Welt und Mensch – angetan, die eine aus den Angeln, den anderen vom Hocker zu heben.
Mozarts Requiem also. Diesmal auf CD mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks und der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Howard Arman, der ja in Salzburg unvergesslich mit der Geschichte des Bachchors verbunden bleibt. Soviel Power erlebt(e) man in vielen vielen Begegnungen mit KV 626 höchstens einst unter Harnoncourt. Dessen Einspielung hat einen Ehrenplatz im Regal bis heute, vermittelt aber ein anderes Bild: Bei aller Energie da und dort noch delikater ausgemalt und die schier Gewissheit vermittelnd, dass der Mensch längst erlöst ist. Unter Howard Arman klingt das alles – direkter? Unverblümter? Weltlicher? Auch wenn etwa die legendären Voca me-Rufe im Confutatis, Schrecken aller Chorsoprane, so überirdisch und delikat daherkommen, wie man es sich nur wünschen kann.
Die CD, eine live-Aufnahme vom vorjährigen Jänner im Herkulessaal der Münchner Residenz, bringt erstaunlich viele Facetten zum Vorschein. Den Text etwa versteht man – ob von Chor oder Solisten, forte oder pianissimo gesungen – nicht nur, weil man ihn ohnehin kennt, sondern weil er extrem präzise artikuliert wird. Allein die Textverständlichkeit macht die Aufnahme zur Erkenntnisquelle: Nicht nur, aber besonders in der Sequenz, und zwar vom wilden Dies irae bis hin zum flehenden Recordare. Wer den beiden Schächern an den Kreuzen links und rechts neben Jesus vergeben hat, der hat auch „mir“ sicher nicht falsche Hoffnung gemacht.... Das ist in dieser Klarheit ein gesungenes Erlösungskonzept – egal, wie da wer zu „Kirche“ stehen mag. Wegen dieser stupenden Textvedeutlichkeit drängt sich sogar die schrullige Frage auf, was eigentlich die Gottesmutter angestellt hat, dass „einst Marien“ vergeben werde musste. Erbsünde wahrscheinlich. Jedenfalls hat sich noch NIE in vierzig Jahren Musikkritikerinnen-Dasein eine theologische Frage aus einer Requiems-Interpretation ergeben. Auffällt übrigens auch das extrem lang gesprochene „e“ im Wort „offerimus“ im Hostias. Nicht auch noch Altphilologie! Eh nicht. Eins nur: Von niemdandem bedrohlicher gestaltet wurde das eine Wort „obscurum“ im Domine, Jesu Christe – in unendlichen Tiefen des Nichts verklingend... Details über Details gäbe es zu schildern von dieser überwältigende Aufnahme.
Das echt Aufregende ist aber, dass KV 626 nicht einzige Hit auf dieser CD ist. Vorangestellt ist eine ebenso mitreißende und energiegeladene Interpretation der Vesperae solennes de confessore für Soli, Chor, Orchester und Orgel C-Dur KV 339. Man wartet bei dem Werk im Konzert ja doch nur auf das berühmte Sopransolo Laudate pueri, das hier freilich mit einer Ruhe und Größe gesungen wird, die ihresgleichen suchen. Das gelingt gelegentlich auch live. Die anderen Psalmen, furchtbar viel altmodischer Text, kommen nicht selten als schwer-gewichtige „Belehrung mit Musik“ daher. Nicht hier. Auch diese Nummer reißen, eine nach der anderen, vom sprichwörtlichen Hocker. Energieausbrüche. Musikantentum pur. Ein paar Feinsinnigkeiten, die Howard Arman mit den Antiphonen anstellt (samt einer jeweiligen kleinen Orgelnummer dazu) begeistern die Kennernin, ten, stören nicht die Liebhaber. Den Abschluss der Werkfolfge bildet ein Libera me, Domine von Sigismund Ritter von Neukomm, eine „liturgische Ergänzung zum Mozart-Requiem“ des Salzburger Komponisten und eine selten bis nie gehörte Rarität. Die BR-Einspielung des Requims folgt übrigens der Süßmayr-Fassung - überarbeitet, ergänzt und/oder weiter entwickelt von Howard Arman. Auch daran mag es liegen, dass gar nicht Weniges deutlich „anders“ klingt.
Eine eigene zweite CD bringt eine Werkeinführung, samt Musikbeispielen und einem Interview mit Howard Arman. - Für Beschäftigung weit über Mozarts Geburtstag hinaus, ist mit diesem CD-Meilsenstein gesorgt.
Mozart Requiem d-Moll KV 626 mit Werkeinführung: Chor des Bayerischen Rundfunks. Akademie für Alte Musik Berlin. Christina Landshamer Sopran, Sophie Harmsen Mezzosopran, Julian Prégardien Tenor, Tareq Nazmi Bass. Nikolaus Pfannkuch Kantor der Antiphonen. Raphael Alpermann Orgel. Howard Arman, Leitung. BR klassik 900926