Da musste schon ein Schütz her
CD-KRITIK / HEINRICH SCHÜTZ
01/04/21 Jeder, der sich einmal singend vertieft hat in die Geistliche Chor-Music von Heinrich Schütz, wird unschwer seine individuellen Lieblingsstellen ausmachen – und so geht es wohl auch jenen, die bloß zuhören.
Von Reinhard Kriechbaum
Sind es die geradezu niederschmetternden Vorhaltsdissonanzen auf die Psalmworte „Die mit Tränen säen“, aus denen sich wie selbstverständlich der leicht tänzelnde Dreier-Rhythmus auf die Wendung „werden mit Freuden ernten“ löst? Oder sind es die kecken Wiederholungen des Wortes „alle“ in „Also hat Gott die Welt geliebt? Solche Kunstgriffe des harmonischen Ausmalens und des rhetorischen Text-Aufpeppens gehören zu den ingeniösen Erfindungen, die man getrost „überzeitlich“ nennen darf. In jedem der fünf- oder sechsstimmigen Sätze lassen sich derart markante Lösungen aufstöbern.
Überhaupt eignet dieser monumentalen Chorsammlung ziemlich genau aus der Mitte des 17. Jahrhunderts etwas ausgeprägt Zeitenverbindendes. Die Zeichen der neuen Ära, des an der Monodie gewachsenen Ausdrucks der einzelnen Stimme hat Schütz – Stichwort: Geistliche Konzerte oder Symphoniae sacrae – verinnerlicht. Und doch war und blieb in seinem musikalischen Handwerk jene „alte“ Polyphonie eine sakrosankte Komponente.
Den Rang dieser Motettensammlung braucht man nicht erst zu argumentieren. Das Ensemble polyharmonique führt die Übergröße in kleinster, nämlich solistischer Besetzung vor. Die sechsköpfige Vokalgruppe, von Violone und „Organo di legno“ (sprich: bloß einem Gedackt-Register) gestützt, lässt sich mit größter Selbstverständlichkeit ein auf die rhetorische Kraft. Da ist im kontrapunktischen Gefüge ein Jeder und eine Jede deklamatorisch präsent und stimmlich fokussiert, aber genau so eingebunden ins homogene Gefüge.
Natürlich springt einen der kräftige barocke Gestus in dieser nie überzeichnenden Interpretation an. Aber es lohnt, auch den vermeintlich sperrigeren Textenvertonungen und ihrer Umsetzung nachzuhören. Schütz hat ja nicht nur vergleichsweise plakative Psalm-Ausschnitte vertont, sondern auch zäheres theologisches Material: „Ich bin eine rufende Stimme“, der Vorangeher, der nicht wert ist, dem Herrn die Schuhriemen zu lösen – das will so charismatisch erst in Musik gesetzt sein. Ähnliches gilt für „Unser keiner lebet ihm selber“ (aus einem Römerbrief) oder fürs Gleichnis vom Weinstock und den Reben. Das in Musik zu verwandeln – da musste schon ein Schütz her...