Die große Wirkung des Unaufgeregten
CD-KRITIK / MADRIGALE
04/05/21 Unruhige Zeiten in Florenz, als der Franzose Philippe Verdelot dort 1522 Maestro di capella zuerst am Baptisterium und schließlich im Haus gegenüber, im Florentiner Dom (ab 1523) wurde. Zwischenzeitlich wurden die Medici entmachtet, und es mag sein, dass der französischstämmige Komponist in den turbulenten Jahren zwischen 1527 und 1530 zu Tode gekommen ist.
Von Reinhard Kriechbaum
Jedenfalls verliert sich seine Spur, und sein Lebensende ist so nebulos wie seine Karriere zuvor: Kaum eine Komponisten-Vita, die mit so wenigen Fakten und Jahreszahlen aufwartet.
Aber die Madrigalkunst des Philippe Verdelot! Seine vierstimmigen Madrigale müssen als rechte Gassenhauer gegolten haben. Elf Mal wurden sie innerhalb nur eines Vierteljahrhunderts wiederaufgelegt. Und kein geringerer als Adrian Willaert hat sie 1536 (da lebte Verdelot gewiss nicht mehr) für Singstimme und Laute übertragen. Willaerts Bearbeitungen sicherten diesen Stücken damit nochmal den Rang gefragter Hausmusik.
Aber trotzdem: Als (zumindest) Mitbegründer jener Musikrhetorik, die den italienischen Madrigalstil bis Monteverdi prägen sollte, ist dieser Komponist doch eher eine lexikalische Größe. Gut also, wenn ein junges Ensemble von herausragender Qualität, wie eben Elam Rotems Profeti della Quinta sich diese Stücke vornehmen.
Die stilistische Eigenart: Philippe Verdelot schreibt einen harmonisch fein ausgehorchten Satz Note gegen Note, würzt diesen nur ganz sparsam mit polyphonen Wendungen, die dann immer unmittelbar dem jeweils hervorgehobenen Wort dienen. Melodisch folgte Verdelot oft dem Sprachduktus. Con soave parlar, con dolce accento – den Titel eines dieser Madrigale könnte man als Kompositionsmotto sehen und er kann genau so als Rezept für die Interpretation dienen. Ein wenn schon nicht sanftmütiges, so jedenfalls unaufgeregtes Reden bildet gleichsam die gestalterische Mitte. Die größte Gefahr wäre das Überzeichnen. Das zu vermeiden, dafür haben die Profeti della Quinta und ihr Leiter bewundernswertes Fingerspitzengefühl. Die Rhetorik wird gerade so angeschärft, dass man der vielen überlegten Textausdeutungen gewahr wird. Die vier Musiker (Giovanna Baviera, Doron Schleifer, Jacob Lawrence und Elam Rotem) haben aus den ursprünglichen Stimmbüchern gesungen, also nicht aus einer modernen Partiturausgabe. Das fördert die Sicht auuf die melodischen Linien. Eine Einladung, Madrigalkunst der Renaissance gleichsam neu zu entdecken.