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Der Biber im Bach

CD-KRITIK / BACHS WEGBEGLEITER

16/09/20 Es ist ein besonderes Geigen-Biotop, in das uns Annegret Siedel mitnimmt. Sie fragt: Wo hat eigentlich Bach die Inspiration, vielleicht auch technische Ezzes erhalten für jene imaginierte Mehrstimmigkeit und die Doppelgriff-Techniken, wie sie insbesonders die Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 und da speziell die Ciacona auszeichnen?

Von Reinhard Kriechbaum

Es geht also um Bachs Wegbereiter (so das Motto der Werkzusammenstellung) speziell für die unbegleitete Geige. Wegbereiter direkter Art, also auf persönlicher Bekanntschaft fußend, oder indirekt, auf mutmaßlicher Werk-Kenntnis beruhend. Heinrich Ignaz Franz Biber und Bach sind einander vermutlich nie persönlich begegnet. Stellt man aber Bibers Schlussstück der Rosenkranz-Sonaten, die in der vorliegenden Interpretation mit exakt neun Minuten zu Buche schlagende Passacaglia g-Moll neben Bachs Ciacona, dann tun sich unweigerlich Wesensverwandtschaften auf: Der Biber im Bach, könnte man kalauern, wenn jemand den Ähnlichkeiten so gezielt zuarbeitet wie Annegret Siedel.

Schon in der Biber-Passacaglia zeigt sie mit bezwingender Ruhe, wie akkurat der als Salzburger Hofkapellmeister tätige österreichische Geigenmeister sprechende Floskeln auf das viertönige absteigende Bassmotiv aufsetzt, wie er dann stets die Pfundnoten gleichsam im Untergrund marginalisiert, während die Melodiestimme sich weiterentwickelt: Das Gedächtnis und das Ohr des Hörers leisten subjektiv das Ihre, um die Polyphonie weiterzudenken.

Nicht viel anders läuft die Sache bei Bach, fast 16 Minuten lang. Auch da lässt Annegret Siedel sich nicht drängen und schon gar nicht zu Blendwerk verführen: Es ist (wie bei Biber) auch hier ein jeder aufgesetzter Virtuosität sich enthaltender Zugang. Indem jede Melodie Luft bekommt, erlebt man als Zuhörer umso plastischer die konzeptionelle Architektur. Verführerischer, durchaus gefühlig nachgestalteter Melos ist veredelt durch den sehr spezifischen Klang der Geige von Jacob Stainer (Absam um 1670), dem Annegret Siedel noch nachhilft mit einem Steckfroschbogen, den Thomas M. Gerbeth nach einem frühbarocken Original aus Schlangenholz, erhalten im Salzburg Museum, gebaut hat.

Bachs weitere Wegbereiter: Als Bach 1703 als Geiger an den Hof in Weimar kam, setzte dort Johann Paul Westhoff (1656-1705) die geigerischen Maßstäbe. Die Begegnung mit ihm sei für den jungen Bach „vermutlich ein Meilenstein für seine Entwicklung als Geiger und Komponist“ gewesen, vermutet Annegret Siedel im Booklet. Westhoff hatte sich jedenfalls zwei Jahrzehnte zuvor schon vor dem Roi-Soleil Ludwig XIV. hören lassen. Damals war in Frankreich auch die Suite pour le violon sans basse in A-Dur gedruckt worden, in der Zeitschrift Mercure Galant – das adelte das Werk und seinen Schöpfer. Angeblich dies die erste gedruckte zyklische Komposition für unbegleitete Geige. Das Spiel mit Akkorden und Doppelgriffen hat in allen Sätzen System, in der Allemande wird solche Technik sogar abwechselnd gestrichen und im Pizzicato angewandt.

Noch früher mag Bach als Michaelisschüler in Lüneburg die Bekanntschaft mit Thomas Baltzer (um 1631-1663) gemacht haben. Dieser war damals in der Lübecker Ratsmusik tätig, bevor er in London große Geigenkarriere machte. Auch Baltzer hat das mehrstimmige Spiel kultiviert, wie ein Präludium in G-Dur zeigt. Eine kleine, aber vielgestaltige Fantasie mit hohem technischen Anspruch. All das bereitet Annegret Siedel mit innerer Ruhe, akkurat ausgefeilt im Klanglichen und mit lupenreiner Intonation aus.

Bachs Wegbereiter. Musik für Violine solo von Baltzar, Westhoff, Biber, Bach. Annegret Siedel, Barockvioline. Musicaphon, M56984

 

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