Ein Meister wird gefeiert
CD-KRITIK / THE DUFAY SPECTACLE
11/09/18 Es gibt Cover, die man gerne in die Hand nimmt, die das Auge fesseln, noch bevor man die CD einlegt ins Laufwerk: So ist bei „The Dufay Spectacle“, das das Ensemble „Gothic Voices“ entfesselt.
Von Reinhard Kriechbaum
Was für ein Spektakel ist da zu erwarten? Als Setting hat man sich eine italienische Hochzeitsfeier an der Kippe von Spätgotik zur Frührenaissance ausgedacht, konkret die Verehelichung des Carlo Malatesta mit Vittoria Colonna 1423. Tatsächlich hat Guilleaume Dufay für diesen Anlass ein Werk geschrieben, die Chanson „Resvelliés vous“. Die Annahme: Der Komponist ist selbst eingeladen zur Festivität. Berühmt, wie er nun mal ist, werden der prominente Gast und seine Musik zum eigentlichen Mittelpunkt des Fests. Seine Musik ertönt in vielen Spielarten, weit hinaus gehend über pure Hochzeits- und Huldigungswerke. Ein rechtes Dufay-Spektakel eben, wie es einem Star-Komponisten wohl zukommt...
Das hat natürlich nichts mit philologischer Akribie zu tun, nicht mit irgendwelchen historisch rekonstruierbaren Festabläufen und Werkfolgen (es wäre gar absonderlich und mehr als unwahrscheinlich gewesen, bloß Musik eines einzigen Meisters zu programmieren). Das hier vorgelegte Spektakel rund um Musik von Dufay kommt aus dem Herzen eines Ensembles, das seit vier Jahrzehnten mit solcher Materie befasst ist. Die Leute von „Gothic Voices“ haben sich über die Zeitläufte als Interpreten eingefuchst in den Personalstil, ihre Seelen brennen für Dufay. Sie lassen uns lustvoll teilhaben an ihrer eigenen Begeisterung, indem sie eine Zusammenkunft von Musikern der Epoche imaginieren, die – welch reizvolle Vorstellung! – ihren hochverehrten Kollegen und Meister der Kompositionskunst hochleben lassen, indem sie assoziativ unterschiedlichste Werke und Gattungen verknüpfen. Diese Folge hat im Endeffekt herzlich wenig mit dem Anlassfall, einer Hochzeit in Adelskreisen, zu tun – umso mehr mit Sinnlichkeit.
Guilleaume Dufay also quasi in allen Spielarten, aber immer stilistisch perfektioniert und unterbuttert mit musikantischer Leidenschaft: Da stehen isorhythmische Motetten mit zwei oder drei parallelen Textebenen neben innig-schlichten Marienliedern, es ist Platz für die prominente Stadt-Huldigungsmotette an Florenz („Salve flos Tuscae gentis“) oder für für die Motette „Ecclesiae militantis“ zur Krönung von Papst Eugen IV.
Geistliche Werke („O sancte Sebastiane“ oder „Apostolo glorioso“) stehen neben Chansons, Melodien aus dem Buxheimer Orgelbuch, die Dufay zugeschrieben werden (etwa „Se la face ay pale“) in unterschiedlichen instrumentalen Varianten. Da greift Andrew Lawrence-King als Begleiter von Jane Achtmann (Fiedel) einmal zur Harfe, ein ander Mal zur Orgel. Überhaupt ist das Zusammenwirken von Vokalisten und Instrumentalisten (klangdifferenziert bis zu Dulzian und Sackpfeife) so wunderbar ungezwungen, gleichwohl immer durchdacht, durch Spaltklang die Textebenen sondierend und so der Gesamtwirkung mit dramaturgischem Know how zuarbeitend.
Das Musikantische kommt nicht zu kurz – und über kurz oder lang wird man gefangen vom Dufay'schen Ausdrucks-Kosmos. Die farbenfroh-emphatische Musik zum anregenden Cover eben, das musikalische Festesfreuden der Epoche suggeriert, am Beispiel der Hochzeit der später heiliggesprochenen Elisabeth (von Ungarn) mit Ludwig IV. Auf der Wartburg. Anregung nicht nur für den Gehörsinn.