Alle Neune
CD-KRITIK / MOZARTEUMORCHESTER / IVOR BOLTON
06/09/17 Der beeindruckende Schlusspunkt: Über viele Jahre haben das Mozarteumorchester und Ivor Bolton alle Bruckner-Symphonien aufgenommen. Nun liegt das Gesamtpaket vor.
Von Horst Reischenböck
Das Label Oehms hat spät, aber doch in diesem Frühjahr mit der Einzel-Veröffentlichung der Symphonie Nr. 2 c-Moll WAB 102 den Sack zugemacht. Ivor Bolton beschränkte sich auf die vom Komponisten offiziell nummerierte Zahl, er verzichtete also auf den Erstling, die sogenannte „Studiensinfonie“, und auch auf die von Bruckner eigenhändig als „ungiltig“ bezeichnete „Nullte“.
Bruckners Symphonien machen Interpreten die Wahl ja nicht leicht, liegen doch mehrere in verschiedenen Fassungen vor, denen allen Gültigkeit nicht abzusprechen ist. Bolton entschied sich im vorliegenden Fall auf das von William Carragan 1991 vorgelegte Erstkonzept von 1872. Das hatte bereits das Linzer Bruckner Orchester quasi als Schnellschuss angeboten, bevor überhaupt noch die Noten in den Handel kamen. Zusammen mit der ein Jahr später uraufgeführten Fassung bietet sich eine direkte Vergleichsmöglichkeit.Unterdessen fußen auf dieser Version mehrere Einspielungen.
Der Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Zürich Hans-Joachim Hinrichsen stellt in seinem im Vorjahr bei C. H. Beck erschien lesenswerten Werkführer „Bruckners Sinfonien“ allerdings gerade diese Variante vehement in Frage, da sie lediglich auf der chronologischen Entstehung ihrer Sätze basiere. Darauf fußt Carragans Vorstellung, Bruckner habe bereits hier und nicht erst wie in seinen beiden letzten Sinfonien (und wie in Beethovens Neunter) das Scherzo an zweiter Stelle gedacht und erst später die Reihenfolge vertauscht. Diesem Satz strich er übrigens danach auch die ursprünglich vorgesehene Coda. Hier kann man sie kennen lernen.
Was für den Hörer zählt, ist aber nicht dergleichen Beckmesserei, sondern das tönende Resultat. Das hinterlässt prächtig faszinierenden Eindruck. Ohne Superlative zu bemühen: Mit diesem Live-Mitschnitt von Anfang Oktober 2015 aus dem Großen Festspielhaus haben sich Dirigent und Orchester in Sachen Bruckner ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.
Beide stellen sich mit dieser schwungvoll animiert bewegten Ausformung des tönenden Freskos unter allen Mitbewerbern in vorderste Front. Wie schon in den vorangegangenen Aufnahmen trägt auch hier prächtig satter und doch differenzierter Streicherklang das wegen ihrer vom Komponisten bewusst gliedernden Zäsuren seitens der Kritik dazumal spöttisch als „Pausensinfonie“ abqualifizierte Werk. Die exzellent disponierten Holzbläser können sich darin blendend entfalten. Und wieder einmal überwältigt die leuchtende Strahlkraft des vollen Blechs dahinter, von der Aufnahmetechnik präzise gestaffelt eingefangen.
Alle neun Sinfonien gebündelt gibt es nun auch wohlfeil in einer Box. Allerdings mit dem Nachteil, dass das Booklet keine einzige Werkeinführung anbietet. Das ist schade.