Ein Ort, der einen längeren Atem, hat als ich
LITERATURFEST SALZBURG / IRMGARD FUCHS
19/05/16 Fast ein wenig verängstigt angesichts der Übermacht des Ortes, zugleich selbstbewusst und aufmüpfig stellt sich die junge Salzburger Autorin Irmgard Fuchs im Booklett-Text zum Literaturfest ihrer Heimatstadt. Den Fragen - in den leeren Flaschen am Bahnhofsvorplatz, im Schatten der Felswände, im Inneren der Katakomben, zwischen den Zwergen - habe sich ohnehin jeder selber zu stellen.
Von Irmgard Fuchs
STELLEN
Stellen Sie mir gerne alle. Sage ich. Also alle Fragen. Außer. Die, ob ich. Ob diese Stadt. Ob der Fallwinkel des Regens mich. Oder ob ich nachts im Traum vielleicht. Beim Betrachten der Häuser. Oder wie sich der Fluss.
(Irritiert sagen Sie.)
Und ich sage. Dass ich wisse, dass es bei Gesprächen über die Stadt naturgemäß um die Stadt gehe. Weswegen ich Ihnen auch eigentlich dieses Buch zeigen wollte. In dem es eben um diese Stadt. Um das Leben in dieser.
Nur habe ich es nicht mit. Sage ich.
Aber stellen Sie sich vor, wie Sie im Klappentext lesen. Ein Buch über das Leben in dieser Stadt. Und stellen Sie sich auch vor, dass Sie das Buch zu lesen beginnen und irgendwann bemerken, dass es gar kein Leben, keine Geschichten enthält. Sondern nur Orte. Orte und die Wege dazwischen. Beispielsweise die Linzergasse hinunter, über die Staatsbrücke und danach rechts die Salzach entlang bis zum Heizkraftwerk. Oder über den Domplatz, in die Franziskanergasse, über den Toscaninihof hinein in den Mönchsberg, in dessen Bauch früher ein Luftschutzbunker war und heute eine Parkgarage ist. Und wie Sie so lesen. Auf der Suche nach der Geschichte hinter den Wegen. Erkennen Sie, dass Sie es gar nicht mit einer Erzählung, sondern mit Folie zu tun haben. Mit den Folien einer Stadt, in die man sich selbst einschreiben muss, um etwas über das Leben in dieser Stadt lesen zu können.
Ich gehe also die Linzergasse hinunter, über die Staatsbrücke, steige beim Rathaus in einen O-Bus und werfe meine Blicke durch die löchrige Fensterreklame hinaus auf die Stadt, in der es jetzt gleich um mein Leben gehen wird.
Aber wissen Sie. Flüstere ich. Es ist unmöglich, sich in das Buch einzuschreiben. Vielmehr beginnen die Orte und Wege mich immer weiter abzudrängen. Da hilft es nichts, sich am baumelnden Halteriemen oder der entwertenden Fahrkarte, die beweist, dass man da gewesen ist, festzuhalten. Unabwendbar verschwinde ich im Ort, der einen längeren Atem hat als ich.
(Sie schweigen. Aber ich sehe, dass Sie überlegen. Spüre, wie Sie denken, dass dieses Buch doch nur erfunden sei. Ich es nur behauptet haben kann. Dass es im besten Fall ein Traum. Oder eine falsche Erinnerung. Aber da nehmen Sie den Stift. In der Hand halten Sie ihn ganz fest. Und fragen. Nach dem. Den ich aber nicht.)
Und so sage ich also. Dass jeder in dieser Stadt sich (in den leeren Flaschen am Bahnhofsvorplatz, im Schatten der Felswände, im Inneren der Katakomben, zwischen den Zwergen) dieser Frage selbst zu stellen habe.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Irmgard Fuchs und des Literaturfests Salzburg
Irmgard Fuchs wurde 1984 in Salzburg geboren, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Berlin sowie Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst. Irmgard Fuchs erhielt zahlreiche Preise, Stipendien und Auszeichnungen, zuletzt war sie für den Leonce-und-Lena-Lyrikpreis 2015 nominiert. „Irmgard Fuchs beeindruckt in ihrem ersten Erzählband ‚Wir zerschneiden die Schwerkraft’ durch ihren genauen Blick und ihren eigenwilligen Ton, der poetisch und ironisch zugleich ist“, schrieb Joe Rabl in „Literatur & Kritik“: „Alltägliches kippt ins Groteske, das Groteske wirkt plötzlich normal. Es ist ein befreiendes Lachen, das diese Texte auslösen, aber es relativiert nicht die Schärfe und Gültigkeit ihrer Aussagen über den Zustand der beschriebenen Welt.“