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„Wer wir sind, wissen wir nicht.“

LITERATURHAUS / LESUNG GLAVINIC

19/04/16 „Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.“

Von Ines Hickmann

Auch in Thomas Glavinics neuem Roman „Der Jonas-Komplex“, aus dem er am Montag (18.4.) im Literaturhaus gelesen hat, gibt es drei Personen: einen Schriftsteller, einen Jugendlichen namens Jonas und einen 2005 in der Steiermark geborenen Buben. Jonas sei ihm am liebsten, so Glavinic, und er war auch als erster da. Die beiden anderen wuchsen aus Jonas heraus.

Mit markanter Stimme beginnt er zu lesen - aus dem Buch, dessen Titel er schon seit zehn Jahren mit sich herumtrage, gemeinsam mit der Angst, er könne ihm weggeschnappt werden. Das sagt ein Mann, der auf den ersten Blick gar nicht so sehr nach Angst aussieht. Ein Mann von markantem Äußeren. Wenig diplomatisch. Direkt. Rauh. Auch sanft. Der von Liebe erzählt, vom unromantischen „Geschlechts-Termin“ mit einer Tierärztin, oder von Jonas, dem Jungen, der Zahlen sehen kann. „1985 ist eine sehr schöne Zahl. Ein bisschen verspielt, etwas geschwungen, ein wenig durchtrieben.“ Der Junge ist es dann auch, der zu allererst von seiner Angst spricht: „Ich bin so. Überall sehe ich die Gefahr, nicht die Chance. Ich habe gelesen, das nennt man den Jonas-Komplex.“

Dieser Komplex, der es immerhin auf die Titelseite des Romans geschafft hat, bezeichnet das kaum bekannte, selten beleuchtete psychologische Phänomen, Angst vor dem eigenen Erfolg, der eigenen Größe zu haben. Ein Thema, das den Autor Thomas Glavinic und seine Figuren schon im Erstling „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ umtreibt. Ein Phänomen, von dem fast alle Menschen betroffen sind.

Ungewöhnlich, aber nicht weiter verwunderlich umtriebig, ist auch die Stimmung, lebendig das Stimmengewurrl schon vor dem Literaturhaus und vor allem dann im Großen Saal. Viele junge Leute. Viele Gesprächsstoffe. An- und Aufgeregtheit. Helle Erwartung.

Nach einer kurzweiligen, weil unterhaltsamen, berührenden und erfrischend direkten Lesung, an deren Beginn Regungen aus dem Publikum mit Reaktionen des Autors, und umgekehrt, noch sehr unmittelbar aufeinander treffen, folgt ein bewegtes erhellendes Gespräch zwischen Thomas Glavinic und der Literaturvermittlerin Ines Schütz.

Seine Romane kämen zu ihm, sagt Glavinic. Das sei ein Geben und Nehmen, ein Hin und Her – sie machten das gemeinsam, aber es sei schwer, darüber zu reden. Wenn ihm je ein Buch „geschenkt“ worden sei – Truman Capote meinte, jedem Schriftsteller würde das einmal im Leben zuteil – dann „Der Kameramörder“, den er in sechs Tagen geschrieben hat.

Dass er sich, im Gegensatz zur FAZ, nicht als „Ich-Spezialist“ sähe, denn worüber sonst solle er schreiben, sagt Glavinic. Dass moderne Romane oft nicht an die Hauptwasserleitung angeschlossen seien, da ihnen ein großes Thema fehle. Man müsse den Leser verwandeln mit seinem Schreiben. Mit einem Ich – als Grundvoraussetzung für Literatur, einem der großen Themen – und der Jetzt-Zeit.

Er selbst schreibe, so der Autor, auf einer Schreibmaschine, weil das schwieriger sei und ihm ermögliche, im Tempo zu bleiben. „Einen Roman zu schreiben bedeutet, im Tempo zu bleiben. Wenn man zu schnell schreibt, besteht die Gefahr, dass man falsch abbiegt oder die Figuren verliert.“ Und mit der Gefahr sind wir schließlich wieder bei der Angst, die schon am Anfang dieses Abends da war, auch schon am Anfang von Glavinics Werk, und zu der wir am Ende des Abends zurückkehren: und zwar um sie anzusehen, zu erkennen, und schließlich zu überwinden.

Beispielsweise schon heute, beschwingt von Glavinics beherztem Plädoyer für mehr menschlichen Mut und von Sätzen wie „Ich liebe das Draußen, das mir eine Ahnung vermittelt von dem, was noch alles möglich ist.“

Bild: Literaturhaus Salzburg/Gaby Gerster

 

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