Kunst darf dürfen
RAURISER LITERATURTAGE / DONNERSTAG
01/04/16 Heftig, wachrüttelnd, herzbewegend… Gefangen lauschte man der visuell untermalten Performance des Rauriser Förderungspreisträgers Carlos Peter Reinelt. Mit „Willkommen und Abschied“ hat er nicht nur Geschichte und Geschichten erzählt, sondern auch Geschichte geschrieben.
Von Jelena Runge Djordjevic und Elisabeth Totter
Carlos Peter Reinelt bedankte sich nicht nur bei seiner Familie, der Jury und seinem ehemaligen Deutschlehrer Ernst Wirthensohn, sondern auch bei den 71 toten Flüchtlingen von Parndorf, die ihm den Impuls gaben, zu schreiben. Totenstille im Hotel Grimming. „Vier Schlepper haben sich am Tod bereichert und auch ich“, schockierte Reinelt die Anwesenden.
Passend zur künstlerischen Darbietung des erst 22jährigen Autors stellte Thorsten Ahrend, einer der Juroren, schon in einer sehr ausführlichen Laudatio am Donnerstag (31.3.) die Frage: Was darf Kunst? Was darf der Künstler?
Kunst berührt Menschen. Ja! Und um Kafka zu zitieren: „Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Exakt in dieser Manier setzte Reinelt seine Lesung fort. „Willkommen und Abschied“ heißt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe. Bei Reinelt handelt es sich nicht nur um eine inhaltlich auf Goethes Text bezogene Liebeserklärung, sondern um ein Zugeständnis an die Kunst. Auf die performativ ausdrucksstarke Lesung reagierte das Publikum irritiert: So starke Emotionen, soviel Emphase - samt beinahe theatralisch-dramatischer Gestik und Mimik - gibt es selten auf einem Lesungs-Podium. Von gesenkten Blicken über Wegschauen bis zur da und dort beinahe ablehnend wirkenden Fixierung des Autors reichten die Reaktionen.
Der Donnerstag-Abend auf der Heimalm begann nach der musikalischen Einleitung des Blockflötisten Helge Stiegler mit der Präsentation des neuen Romans von Alain Claude Sulzer. Er erzählt in „Postskriptum“ beginnend im Winter 1932/33 vom Schicksal eines jüdischen Filmstars. In der familiären Atmosphäre auf der Heimalm sprach man anschließend über die Kunst des Überlebens. Danach führte Nellja Veremej mit ihrem Roman „Nach dem Sturm“ in eine fiktive Stadt an der Donau und verfolgte ihre Geschichte über dreihundert Jahre.
Den Ausklang des Abends bildete eine zweisprachige Lesung mit der slowenischen Autorin Breda Smolnikar. Diese sorgte mit ihrem „Ko se tam gori olistajo breze“ („Wenn die Birken Blätter treiben“) nicht nur für weitere Denkanstöße zur historischen Situation während des ersten Weltkriegs, sondern regte auch zum Nachdenken über die Situation von Autorinnen und Autoren an. In einem fünfzehn Jahre langen Prozess kämpfte Breda Smolnikar für das Recht, den Roman veröffentlichen zu dürfen und für die Freiheit der Kunst – die Freiheit, das Notwendige schreiben zu dürfen.