Ich war schon einmal drüben
LITERATURFEST / O-TON / CHRISTOPH SIMON
26/05/15 Romanautor, Musiker, Weltreisender und bester Slam-Poet der Schweiz: Es ist keine Weltreise für ihn aus der Schweiz nach Österreich und zur Eröffnung des Literaturfests nach Salzburg. Aber Christoph Simon öffnet neue Welten. „Sein Humor ist schwarz und trocken, seine Worte sind unprätentiös und präzise, sein Auftritt scheu.“
Von Christoph Simon
ich war schon einmal drüben.
vater versammelte die familie in der hotellobby
und setzte eine wahre menschenjagd in gang wegen
des fehlenden koffers. mutter reichte mir eine cola.
ich schloß die augen, und da sah ich ihn, genau vor mir:
den tod. er sah aus wie meine schwester, wenn sie sich
die augenbrauen auszupft. in einer mir ansonsten
völlig unverständlichen sprache sagte er: komm mit.
ein vergebliches bemühen, das gleichgewicht zu halten.
als ich zurück war, mit cola überall, versuchte ich mich
auf vaters geschimpfe zu konzentrieren. er teilte seine leute
für die verschiedenen aufgaben ein:
– sich unter den angestellten umhören, um die spur
zum fehlenden koffer zu ermitteln,
– den verbrecher ausfindig machen, der meiner schwester
einen ring geschenkt und die hochgeschwindigkeitsersatzteile
für ihr mofa verkauft hatte.
mutter wollte mich trocken einkleiden.
aber nein, ist ja alles im koffer.
was haben die bloss mit unserem koffer angestellt.
ich war schon einmal drüben. ich weiss jetzt bescheid.
der koffer war, dem himmel sei dank,
wohlauf. vater wurde vor erleichterung ausstehlich.
kaum zu hause, zog meine schwester aus.
ich bekam ihr altes zimmer in unserer mietwohnung,
die einer pensionskasse gehört.