Falsch reisen
LITERATURFEST / O-TON / MARTIN AMANSHAUSER
27/05/15 Reisende überschreiten Grenzen. Naturgemäß sozusagen. Grenzpfähle stellen sich einem – außer man ist ein Flüchtling oder man will in die USA – kaum noch in den Weg. Auch werden Grenzübertritte nur mehr selten mit dem Stempel ins Reisedokument markiert. Dennoch hat mit Grenzüberschreitung verbundenes Reisen seine Tücken. Martin Amanshauser, Reisejournalist und Kolumnist, kennt sie alle – von A bis Z.
Geht doch auch so
Von Martin Amanshauser
Ich bin dauernd an Grenzen. Dabei mag ich sie gar nicht. Mein Beruf hat es erzwungen. Ich komme in Länder hinein und spaziere aus ihnen heraus, ich lasse mir von uniformierten Walrössern und Gouvernanten Stempel in den Pass hämmern und beantworte mit leicht verstellter Stimme ihre Fragen. Eine davon – meist lautet sie ungefähr „Was verdammt wollen Sie eigentlich in unserem Land und wann genau schleichen Sie sich wieder?“ – beantworte ich immer mit „Tourismus“ (unkorrekt) und dem Rückflugdatum (korrekt). Bei der Frage nach dem Beruf lüge ich: „Editor“.
Grenzbeamte vieler Länder würden es nicht so schätzen, wenn ich „Journalist“ oder „Autor“ schriebe. Was ein „Editor“, meinetwegen auch Herausgeber sein soll, wenn ich ein solcher bin, weiß ich selbst nicht genau, aber falls sie nachfragen, darf ich niemals preisgeben, dass ich für die „Presse“ oder die „Süddeutsche“ reise. Ich musste noch nie, doch notfalls werde ich so eine Art österreichisches Fanzine für Haikus erfinden, von dem ich leider kein Exemplar dabei habe. Auflage 5.000, ziemlich hohe Förderungen, ganz wenig Online. Um Himmels Willen, gar kein Online! Dort, wo ich Editor bin, machen wir das quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil wir Künstler sind. Wir sind jedoch unkritisch, wir schreiben nur Positives.
Dass gerade ich, der Grenzen gar nicht übermäßig schätzt, sie dauernd überqueren muss, hat wohl mit einer geheimen Faszination zu tun. Die Frechheit, eine Linie zu ziehen, die der andere nicht überqueren darf, hat ja jeder von uns, ich tat es auf der Schulbank, und immer tief im Gebiet des anderen. Wenn schließlich meine Gedanken frei sind, auf dem Sitz 7A, mit dem Kopf an einer der Luken aus Polycarbonat lehnend, betrachte ich die Welt unter mir. Ein Blick genügt: Die Striche, die Menschen da unten ziehen, sind von hier aus völlig fiktional.
Ich liebe es, in der Wirklichkeit eine solche Grenze zu überschreiten, nicht in einem Flughafen, nicht an einer Grenzstation, sondern zu Fuß, auf einer Wiese, die von Walrössern und Gouvernanten nie betreten wird, weil sie ja keine Zeit haben. Sie sind ohne jegliche Pause damit beschäftigt zu fragen, was fremde Leute in ihrem Land eigentlich wollen und wann sie sich wieder schleichen. Wenn ich eine unkontrollierte Grenze zu Fuß übertrete, überkommt mich ein kaum unterdrückbares Triumphgefühl, und ich sage leise zu mir: „Na schau. Geht doch auch so.“