Verschlungene Wege zurück
HINTERGRUND / PROVENIENZFORSCHUNG
14/04/21 Wenn ein Bild restituiert wird, findet es meistens den Weg in die Schlagzeilen der Medien. Das hat nicht selten mit dem hohen Marktwert und dem großen Namen des jeweiligen Kümnstlers zu tun. Es gibt aber auch wichtige Provenienzforschung, die eher abseits der öffentlichen Wahrnehmung läuft.
Von Reinhard Kriechbaum
Heute Mittwoch (14.4.) ist der Tag der Provenienzforschung. Den gibt es noch nicht lange. Er wurde 2019 international vom „Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.“ ins Leben gerufen, um auf die gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz der komplexen Arbeit der einschägig tätigen Forscherinnen und Forscher aufmerksam zu machen.
Die Universitätsbibliothek Salzburg betreibt seit 2009 NS-Provenienzforschung. Irmgard Lahner ist die dafür zuständige Wissenschafterin. Im Zuge eines wissenschaftlichen Projektes wurde der Buchbestand auf mögliches geraubtes Gut während der NS-Zeit untersucht: 82 Bücher, 66 Grafiken und 10 Handschriften, die sich – soweit rekonstruierbar – unrechtmäßig im Bestand der Universitätsbibliothek befanden, wurden seit 2012 bis 2019 restituiert. Das mag wenig erscheinen angesichts von insgesamt 12.828 Bänden. So viele hat die Studienbibliothek Salzburg allein zwischen 1933 und 1945 erworben. Tatsächlich muss man auch Bücher aus anderen Jahren im Auge behalten. „Die Möglichkeit, unwissentlich ein Buch zu erwerben, das zwischen 1933 und 1945 in Deutschland, Österreich oder einem vom ‚Dritten Reich’ okkupierten Land geraubt wurde, besteht bis heute, denn die Bibliothek kennt oft nur das letzte Glied einer längeren Provenienzkette“, heißt es in dem 2012 im Verlag Müry Salzmann erschienenen Band Buchraub in Salzburg.
Ein gutes Beispiel dafür ist jenes dänische Wörterbuch, das im Jahr 2014 dem damals 102 Jahre alten Wolf Suschitzky (im Bild oben) übergeben wurde. Die Buchhandlung und der Verlag der Brüder Philipp und Wilhelm Suschitzky wurden 1938 liquidiert, die Bücher geraubt und veräußert. Wolf Suschitzky, Sohn von Wilhelm Suschitzky, war bereits 1934 nach London emigriert. Die Studienbibliothek kaufte das Buch 1953 von einem fahrenden Buchhändler. „Da ich jetzt 102 Jahre alt bin, versuche ich meine Bibliothek zu vermindern“, schrieb der unterdessen verstorbene Suschitzky – und schickte das Buch wieder an die Universitätsbibliothek zur Verfügung.
Ähnlich hielt es das Borrmomäum. Die Schule wurde 1938 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten enteignet und geschlossen. Die Bücher aus der Bibliothek wurden ausgelagert und verteilt. Etwa viertausend Werke kamen in die Studienbibliothek. Nach Kriegsende wurde der Großteil davon an das Borromäum zurückgegeben, ein kleiner Teil verblieb aber in der Studienbibliothek. Diese Bücher wurden am 24. April 2018 restituiert. Um sie weiterhin einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurden sie der Universitätsbibliothek als Geschenk überlassen. Zwei Bücher sollen jedoch an prominenter Stelle im Schulgebäude an das Schicksal des Borromäums in der NS-Zeit erinnern.
Ein prominenter Schauspieler nahm 2014 ein Buch seines Großvaters entgegegen: Miguel Herz-Kestranek. Das Ex-Libris verwies eindeutig auf Eugen Herz, einen österreichischen Industriellen, dessen Vermögen im Jahr 1938 „arisiert“ und dessen Bibliothek im Jahr 1940 „zur Veräußerung“ freigegeben wurde.
Ein Buch harrt nun schon seit über einem Jahr seiner Restitution. Corona-bedingt musste man die schon für März 2020 geplante Übergabe verschieben. Victor Adler, ein klingender Name. Er war Mitbegründer der österreichischen Sozialdemokratie und einer der Gründerväter der Ersten Republik. Als Armen- und Nervenarzt und Journalist beschäftigte er sich intensiv mit den Nöten der Arbeiterinnen und Arbeiter. Nach seinem Tod 1918 kam der sozialwissenschaftliche Teil seiner umfangreichen Bibliothek 1924 an die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Arbeiterkammer in Wien. Alle Bücher dieser Bibliothek wurden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 nach Berlin transportiert. Nach dem Krieg kam ein Buch aus einer Sammelstelle für jüdisches Raubgut, dem Offenbach Archival Depot bei Frankfurt am Main, in den Besitz der Universitätsbibliothek. Die AK Bibliothek Wien für Sozialwissenschaften wird es bald zurück bekommen.