Puntigam links
LITERATURFEST / WOLF HAAS
27/05/19 Jetzt ist schon wieder was passiert. „Genauer gesagt beziehe ich mich auf die linke Gesichtshälfte. Auf den äußeren Winkel des linken Auges. Geht man von hier einen Zentimeter nach unten, kommt man zum linken Backenknochen. Und dann in gerader Linie weiter, noch einen Zentimeter. Dort hat Anni mich hingeküsst.“
Von Clemens Kainz
Im Rahmen des Literaturfests beehrte am Freitag (24.5.) der Schriftsteller Wolf Haas, der insbesondere durch seine Brenner-Romane Berühmtheit erlangt hatte, Salzburg mit einer Lesung. Aufmerksam lauschten die Zuhörer, wie er liebenswert und in Manier eines Schalkes sein Werk querbeet durchwanderte, amüsante Anekdoten einstreute und Hintergründe erläuterte.
Zu Beginn las Haas einen Ausschnitt aus Das Wetter vor 15 Jahren, einem Buch, das mit Metaebenen spielt und von Kritikern und Lesern für seine innovative Erzähltechnik gelobt wird. Faszinierend ist hierbei, dass die traditionelle Instanzenstruktur durch eine vierte Ebene erweitert wurde, indem ein fiktiver Wolf Haas ein Interview über ein in der Geschichte reales Buch gibt. Im Interview wird seitenlang eine Kussszene thematisiert, und diskutiert, ob der Kuss romantisch und leidenschaftlich beschrieben ist oder die Textstelle durch den akribischen und pedantischen Charakter der Hauptfigur einen sachlichen, technokratischen Ton bekommt.
Nach dieser gelungenen Eröffnung erzählte Haas, wie er darauf gekommen ist, Brenner aus Puntigam stammen zu lassen. In seiner Salzburger Schulzeit hieß es bei den Steirern: „Du gehörst nach Puntigam links“, und das meint – auf Salzburg umgelegt – „Du gehörst nach Lehen“. Denn in Graz Puntigam ist die Nervenklinik... Da er sich so über die holprige Ortsbeschreibung als Platzhalter für den Namen des Irrenhauses amüsierte, beschloss er, Brenners Heimat dort zu verankern.
Im Folgenden las Haas – vermutlich aus aktuellem Anlass - eine Textstelle aus Brennerova, über Russinnen, denen man nicht immer trauen könne. Besonders im Internet, wenn sie sich als Models ausgeben und in Wirklichkeit so muskulös wie Hammerwerfer seien. Haas spielt bekannt gekonnt mit der Sprache. „Mein Gesicht war so heiß, dass mir der Kaffee leidtat, als er sich an meinen Lippen verbrannte“, heißt es etwa in seinem zuletzt erschienen Buch Der junge Mann, einem autobiographisch angehauchten Roman, der in den 70ern angesiedelt ist und dessen zentrales Thema die Verliebtheit eines 13-Jährigen in eine erwachsene Frau ist.
Sein Schreibstil ist unnachahmlich, seine Art sympathisch und bodenständig, sein Humor trocken und skurril. Der Satz „Fliegt sie jetzt in die Luft oder nicht?“, wird in Zukunft beim Anblick einer Tankstelle wohl nicht wenigen Zuschauern durch den Kopf schießen, so anschaulich beschrieb er die Tankstellenszene aus seinem ersten Roman.
Haas schafft es, peinliche und unangenehme Szenarien auf elegante Weise zu schildern, der Zuhörer empfindet Identifikation und Fremdscham und schätzt die Barriere zwischen Buch und Realität, die es ihm erlaubt in Sicherheit darüber zu schmunzeln.
Bilder: LF/Erika Mayer