Ein Spielraum von einer Armlänge
LITERATURFEST SALZBURG / BARBARA FRISCHMUTH
18/05/18 Barbara Frischmuth ist eine der Großen. Anliegen sind der studierten Arabistin die Vermittlung zwischen Christentum und Islam, aber auch die Kritik an Geschlechter-Stereotypen. Welches Potential zur Revolte allein ein Spaziergang in Zweier-Reihe böte, zeigte Frischmuth bereits 1968 in ihrem Debüt „Die Klosterschule“. Daraus liest sie bei der Eröffnung zum Literaturfest Salzburg. – Hier der Text aus dem Programm-Booklet.
Von Barbara Frischmuth
Wir sollen in Gehordnung bleiben, wir sollen uns an den Händen halten, wir sollen englisch sprechen, wir sollen uns nicht absondern. […] Wir sollen Disziplin halten, uns in die Ordnung fügen, die Gebote des Anstands nicht außer acht lassen. Wir sollen, ob wir wollen oder nicht, unseren Willen einem höheren unterordnen, da dieser uns gewollte und wir ihn mit dem unseren stets wollen sollen. […]
Wir aber erzählen Geschichten, stoßen uns an, lachen oder sind traurig, wie unsere Sprache es fordert, zwinkern mit den Augen, verziehen den Mund, neigen uns einander zu, ziehen uns am Ärmel, schließen abwechselnd die Augen, tun einen Wechselschritt, den wir mit je einem großen Schritt aufholen, verkleinern oder vergrößern unsere Pupillen, legen die Stirn in Falten, wackeln mit den Ohren - wenn es uns gelingt -, drücken uns die Hände, kneifen einander in den Arm, haken uns unter, halten den Kopf schief, schneuzen uns die Nase, haben Schluckauf oder eine trockene Zunge, drehen uns herum, geben Zeichen, flüstern, sprechen mit verstellter Stimme, ahmen nach, reden Böses, wir plustern uns auf oder gehen krumm, wir schlenkern mit den Armen oder stecken die Hände in die Mantelsäcke. Wir tun, was wir können, zwischen der Reihe vor uns und der Reihe hinter uns, im gleichen Tempo wie alle anderen, mit einem Spielraum von einer Armlänge in sämtliche Richtungen.
Aus: Barbara Frischmuth: Die Klosterschule, Residenz Verlag 1978.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin, des Verlags und des Literaturfestes Salzburg
Das Literaturfest Salzburg – von 23. bis 27. Mai – widmet zahlreiche Veranstaltungen dem Thema „Revolten“ – Barbara Frischmuth liest mit Friedrich Christian Delius und Michael Fehr bei der Eröffnung am 23. Mai in der Großen Aula – www.literaturfest-salzburg.at
Bild: LFS/Christian Jungwirth