Vertrauensmann und guter G’sell
LESEPROBE / JUNG / ZWISCHEN OHLSDORF UND CHAVILLE
30/11/15 „Es gibt was Neues, magst du kommen?“ H. C. Artmann ruft an, der Lektor fährt los. Weiter geht es zu Thomas Bernhard nach Ohlsdorf oder zu Peter Handke nach Chaville bei Paris. Als Lektor und Verleger hat er Werke der Weltliteratur aus der Taufe gehoben und Autoren zum Traualtar begleitet. In seinem jüngsten Buch erzählt Jochen Jung von seinen Begegnungen mit Dichterinnen und Dichtern aus Vergangenheit und Gegenwart. – Hier eine Leseprobe.
Von Jochen Jung
Erzabt-Klotz-Straße oder Handkes Mütze
Handke geht, das tut er. Er flaniert nicht, er wandert auch nicht, und vor allem geht er nicht spazieren. Er geht.
Er kommt nicht irgendwo her und geht irgendwo hin. Er kommt von zu Hause und wird dort auch wieder ankommen. Hat er dazwischen ein Ziel? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Was unterwegs ist, ist seine Sache. Möglich, dass man später etwas davon erfahrt.
Meist geht er allein, in dem Sinn, dass da nur einer geht. Der bewegt sich, ist beweglich. Kommt, verschwindet.
Einmal hab ich ihn an der Ampel in der Erzabt-Klotz-Straße gesehen. Es war Winter, er trug einen schwarzen Mantel und Schuhe, für die man das Wort ‚Schuhwerk’ erfunden hat. Und er hatte eine Mütze auf dem Kopf, eine Strickmütze, die ich nicht vergessen werde, obwohl ich nicht einmal mehr ihre Farbe weiß. Es war eine gestrickte Mütze, eine Haube.
Handke lebt schon lange nicht mehr in Salzburg, ich immer noch. Wenn es wieder Winter wird und ich, wie täglich viermal, an der Ampel in der Erzabt-Klotz-Straße vorbeifahre, sehe ich ihn manchmal dort stehen, den Dichter, wartend auf Grün, zusammen mit anderen.
Immer hat er dann die Mütze auf, und jetzt weiß ich auch, dass sie grau ist, ein einfaches Grau, und grob gestrickt ist sie, und da, wo sie am Scheitel zusammengenäht ist, ist sonst nichts, kein Bommel, kein Pudel, keine Quaste, diese Wörter kommen bei Handke nicht vor.
Weil ich ihn überall erwartet habe, habe ich ihn auch an anderen Orten wieder gesehen, kurz nur, aber doch. Einmal auch in Jerusalem, von weitem, und einmal in Hongkong, da war ich mir aber nicht ganz sicher.
Oft sah ich ihn in Gneis, in Liefering, in Schallmoos. So hab ich selbst Salzburg kennengelernt, auf der Suche und in Erwartung der Mütze. Bisweilen waren die Straßen für mich wie ein Strickmuster, das sich zusammenfugte. Bisweilen sind sie es immer noch.