Da hast du beschlossen, unsichtbar zu sein
LESEPROBE / CHRISTOPH JANACS / OFF SEASON
14/09/15 Tote Hose? Jedenfalls ist die Saison aus, die Fensterläden der Strandbäder und Sommervillen sind dicht gemacht. Peter Schlager hat fotografiert im Seenland rund um Salzburg, mit Sinn für Poesie, fürs Morbide und mit feiner Ironie. Dazu Texte von Christoph Janacs: „Off Season“ ist im Verlag Pustet erschienen.
Von Christoph Janacs
Der Umweg über das verlassene Strandbad hatte sich gelohnt. Eine graue Wolldecke, groß genug, um sich darin einzuwickeln und die kälter werdenden Nächte zu überstehen. Eine Bootsplane als Unterlage. Eine unbenützte Packung Streichhölzer. Ein kleiner Plüschbär, von Regen und Sonne schon etwas zerschlissen, aber geeignet, ihn in den Arm zu nehmen, wenn die lidlosen Sterne gar zu abweisend herabblicken.
Überhaupt war es ein erfolgreicher Tag gewesen. Oberhalb des Dorfes warst du auf eine Villa gestoßen, ein im alpenländischen Stil errichtetes, aber neues Gebäude (der Hang rundherum war frisch bepflanzt und der Kiesweg zum Eingang hinauf glänzte noch hell und zeigte kaum Fahrspuren), ein Haus, das mit seinen herabgelassenen Jalousien etwas Festungsartiges hatte und unbewohnt wirkte, gerade recht, um nachzusehen, ob nicht etwas zu holen sei. Dennoch warst du fast eine Stunde auf der Lauer gelegen, um nicht doch von einem heimkehrenden Bewohner überrascht zu werden.
Erst dann hattest du das etwas abseits gelegene Gebäude auf der Suche nach einem offen gelassenen Fenster oder einer unverschlossenen Tür zu umkreisen begonnen. Nach mehrmaligem Umrunden hattest du schon aufgeben wollen, als dir ein Kellerfenster auffiel, das von keiner Jalousie verschlossen und, wie du feststellen konntest, nur angelehnt und groß genug war, um hindurchzuschlüpfen. Du hattest den Sack mit deinen Habseligkeiten abgestellt und warst eingestiegen.
Eine herrschaftliche Villa. Teures Inventar, so gut wie unbenützt und vor Sauberkeit spiegelnd. Die Wohnzimmermöbel mit Schutzfolien überzogen. Keine Fotos, keine Bilder, nichts Persönliches, das auf die Besitzer hätte schließen lassen. Lebten hier überhaupt Menschen? Ein Gebäude, wie es sie hier im Seengebiet zu Dutzenden gibt. Eine Sommerresidenz, die den Rest des Jahres leersteht. Wahrscheinlich ein Abschreibposten unter mehreren, dessen Vermietung sich wertmindernd auswirken würde und der deshalb ungenützt steht. Du hättest es wissen müssen.
Der Kühlschrank war ausgeschaltet und leer, auch in den Küchenschränken fand sich nichts Brauchbares. Aber im Keller waren – Überraschung! Überraschung! – auf einer Stellage einige Konservendosen gestanden, die nicht abgelaufen waren (und wenn, dann hätte es dich auch nicht daran gehindert, sie mitzunehmen; jemand in deiner Lage kann es sich nicht leisten, zimperlich zu sein). Du hattest so viele wie möglich unter die Arme geklemmt und sie durchs Fenster hinausbefördert.
Als du aber zurückkehren wolltest, um weitere Dosen zu holen, hatte dich ein Geräusch aufgeschreckt: Jemand musste gekommen sein und hatte die Eingangstür ins Schloss fallen lassen. Der Besitzer wohl nicht, und eine Putzfrau hatte hier auch nichts zu tun. Wahrscheinlich ein Nachbar mit dem Auftrag, nach dem Haus zu sehen. Oder jemand von einer privaten Wachgesellschaft. Genügend leerstehende Gebäude gab es ja hier. Du hattest dich vorsichtig durch die Öffnung gezwängt, alles in den Sack gestopft, eine Zeit lang im sicheren Schatten der Hauswand gewartet und warst dann, so schnell es deine Füße und der schwerer gewordene Sack zuließen, hinüber zum Wald gelaufen.
Man sollte dich nicht sehen.
Man soll dich nicht sehen.
Du gibst keinen schönen Anblick ab. Das hast du zwei Mal erleben müssen. Einmal waren dir an einem Dorfrand Kinder nachgelaufen und hatten Vogelscheuche! Vogelscheuche! gerufen, bevor sie begannen, Steine nach dir zu schmeißen. Und kürzlich warst du unter einem Baum eingeschlafen und hattest dich, als du aufwachtest, von Kindern umringt gesehen, die dich groß angafften. Wie du dich aber aufrichten wolltest, waren sie kreischend davongelaufen. Da hast du beschlossen, in Hinkunft unsichtbar zu sein.
Das ist dir bis heute gelungen. Unsichtbar warst du in die Villa eingedrungen und hattest Essbares mitgenommen. Unsichtbar warst du über das Gelände des geschlossenen Strandbads gestreift und hattest dich an den vergessenen, liegen gelassenen, verlorenen Dingen bedient. Und
unsichtbar warst du abends das Seeufer entlanggezogen und hattest am Fuß einer steil abfallenden Felswand auf einem winzigen Fleckchen Erde, gut geschützt durch einen Schilfgürtel, dein Nachtlager aufgeschlagen (...)