„Höllenlärm“ und Judas-Vertreiben?
LESEPROBE / SCHELLER, SCHLEICHER, MAIBAUMKRAXLER
17/04/14 Das Ratschen gehört zu den beliebtesten, liebenswertesten, aber auch wenig hinterfragten Gepflogenheiten in der Karwoche: Ist es eigentlich ein Brauch, dessen Ursprung sich nicht recht verträgt mit dem heutigem Verständnis von Political correctness? – Eine Leseprobe aus dem Buch „Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler“ von DrehPunktKultur-Chefredakteur Reinhard Kriechbaum.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein eigenartiges Wort, „Pumpermette“. Es hat tatsächlich mit Krachmachen zu tun. Der ursprüngliche Zeitpunkt für die „Pumpermette“ war der Mittwochabend in der Karwoche. Da wird das Evangelium vom Verrat des Judas gelesen, und nach dem Evangelium war es üblich, dass die Gottesdienstbesucher auf die Kirchenbänke trommelten. Das sollte die Empörung über den Verrat des Judas illustrieren oder, nach anderer Lesart, auch die Wut der Juden auf Jesus.
Mag sein, dass nicht nur hölzernen Klöppel dazu verwendet wurden („Pump“ ist ein altes Wort für Stößel), sondern auch Ratschen. Jedenfalls hat die Gegenreformation, allemal interessiert an optisch und akustisch „greifbaren“ Handlungen, auch das Ratschen instrumentalisiert. In der damals zum Fürsterzbistum Salzburg gehörenden Stadt Laufen an der Salzach haben die Jesuiten den Schülern explizit erlaubt „mit Rumpelfässern und Lärminstrumenten im Dorf den Verrat des Judas kundzutun und den Aufruhr der Elemente beim Tod Jesu nachzuvollziehen“. Aufschlussreich jedenfalls, dass Ratschen in Form von Schubkarren auch als „Judaskarren“ bezeichnet wurden. Die Sache scheint alsbald ins Kraut geschossen zu sein, denn schon 1559 wurden „Pumpermetten“ im Stephansdom und in der Wiener Michaelerkirche untersagt, wo Schüler für „Höllenlärm“ sorgten.
Deutet das nun darauf hin, dass der Ursprung des Ratschens in einem latent vorhandenen Antisemitismus liegen? Ist es gar ein in diesem Sinn heutzutage als politisch inkorrekt einzustufender Brauch?
Man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten und muss sich vergegenwärtigen, dass Lärminstrumente aus Holz – Ratschen, Klappern, Schraper – zu den ältesten und verbreitetsten Musik-Werkzeugen überhaupt gehören. Fähnchenratschen (die man mit kreisender Handbewegung zum Tönen bringt) waren dann auch beim jüdischen Purimfest üblich. Man übertönt zu diesem Anlass mit Ratschengeknatter bei der Lesung aus dem Buch Ester den Namen des Judenfeindes Hamar. Wie sich die Hör-Bilder gleichen!
Schon vom 3. Jahrhundert an ist im Christentum jedenfalls das Ratschen bei „Pumpermetten“ verbürgt, und in der Zeit Karls des Großen hat man ebenfalls geratscht. (…)
Das Ratschen wird nun – anerkannt und beliebt – als Ersatz für die schweigenden Glocken betrieben. Denn die fliegen ja, wie man so schön sagt, nach dem Gloria am Gründonnerstag nach Rom. Das nächste Mal wird erst wieder in der Osternacht geläutet.
Der Salzburger Lungau hat eine besonders intensive Ratschen-Tradition. Der Brauch unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde, aber das Wichtigste: Er macht Effekt. In Mariapfarr gibt es zum Beispiel eine „Turmratsche“ – eine fest installierte Kastenratsche gleich mit vier Kurbeln. Das ist ein echter Glockenersatz, weithin zu hören. Die ursprüngliche Aufgabe der „Ratschenbuam“ war der Ersatz fürs stundenweise Läuten der Glocken oder fürs Zusammenläuten eine Viertelstunde vor einem Gottesdienst.
Wo große Kastenratschen zum Einsatz kommen, betreibt man den Brauch nahe der Kirche. Mit Fähnchenratschen ist es leichter, durchs Dorf zu ziehen. In Thomatal hat sich das Ratschen zum Heischebrauch von Kindern entwickelt. Auch andernorts im Lungau ziehen Ratschen-Gruppen auf Routen, die vorher genau festgelegt werden, durch die Gemeinde. Die Gruppen wechseln sich von Jahr zu Jahr ab, denn nicht jeder Weg ist gleich „ertragreich“. In Fremdenverkehrsorten besuchen die Ratschenbuben auch Gasthöfe und Hotels.
Wirklich nur Buben? Auch da gibt es Unterschiede von Ort zu Ort, hier und da sind Mädchen (Ministrantinnen) akzeptiert. Manche Ratschen-Gruppen bleiben aber über die Kartage zusammen, nächtigen auch gemeinsam – so etwa in Mauterndorf. Da sind Mädchen natürlich absolut unerwünscht. Diese Tage haben hohen Gemeinschafts-Wert, so wie auch das gemeinsame Bauen von Ratschen.
Es gibt Ratschen-Sprüche, einer der in ganz Österreich verbreiteten geht so: "Mir ratschn, mir ratschn den Englischen Gruaß, den jeder katholische Christ betn muaß. Follts nieder, follts nieder auf enkare Knia, bets fünf Vaterunser und fünf Ave Maria." Das Ratschen wird geprobt, und der Anführer der Gruppe achtet darauf, dass alles seine Ordnung hat. Mancherorts im Lungau führt er sogar noch einen „Patznsteckn“ mit. Vor nicht gar langer Zeit haben unkonzentrierte Ratscher, die „gepatzt“ haben, damit eins auf die Finger gekriegt.
Im niederösterreichischen Weinviertel ist zumindest mancherorts noch die Erinnerung an die „Pumpermette“ wach. Das „Pumpermettenratschen“ war logischerweise eine Sache der Burschen. In Fallbach sei das am Karfreitag in der Nacht gewesen, da wurde getrunken und Spaß gemacht, nächtens dann angeklopft und Schabernack getrieben – ortsweise sehr unterschiedlich. „In Fallbach hat der Pfarrer immer dagegen gewettert, weil es die Karfreitagsruhe und das Fastengebot gebrochen hat. Manche Burschen durften daher nicht dabei sein, weil die Eltern das auch so gesehen haben“, weiß der jetzige Pfarrer, Johannes Cornaro. Und ein älterer Mann erinnert sich: „Früher trafen sich die Burschen in einem Haus, wo sie zusammen in einem Raum bis Mitternacht warteten, um anschließend Pumpermetten zu ratschen. Es ergab sich dadurch auch die Möglichkeit mit Mädchen in Kontakt zu kommen, da die Erwachsenen durch das Pumpern abgelenkt wurden.“ Im nahen Hagenberg ziehen Jugendliche jedenfalls immer noch um Mitternacht mit Ratschen durch den Ort.