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Von der Provinz als Spiegel der Welt

LESEPROBE / STEINWENDTNER / AN DIESEM EINEN PUNKT DER WELT

14/03/14 In seinem alten Bauernhaus schmiedet Tom, Outlaw und Urgestein des Dorfes, Pläne und Projekte für ein gerechteres Sein in Dort und Welt. „Brita Steinwendtner erzählt Toms Leben als eine große und gebrochene Liebesgeschichte: zu zwei Frauen, zu Landschaft, Dorf und dem Leben am Ufer des Baches, zu Tausenden von Büchern und zu Bob Dylan.“ – Hier eine Leseprobe.

Von Brita Steinwentdner

Elisa.

Sie war an der Bushaltestelle gestanden.

Ein schlankes Mädchen. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der manchmal über ihren Rücken fiel, manchmal über die Brust an der linken Seite. Nie eine Masche am Ende des Zopfes. Nie ein Lippenstift. Immer geschminkte Augen. Immer in Jeans. Immer hielt sie mit verschränkten Armen eine henkellose Aktentasche vor dem Körper.

Jeden Morgen an Arbeitstagen stand sie da um dieselbe Zeit.

Jeden Morgen um dieselbe Zeit fuhr ein Rettungswagen vorüber. Er brachte die Nierenpatienten der Region zur Dialyse in das Kreisspital. Am Steuer saß ein Sozialhelfer. Auch er war immer derselbe. Morgennebel, Morgenschnee, Morgenblüten.

Morgenlächeln. Als es Sommer wurde, war es zum Lachen geworden.

Da hielt er einen Zettel an die Windschutzscheibe:

TELEFONNUMMER??

Auf einen Pappendeckel schrieb sie für den nächsten Tag:

FRECHHEIT!

NEIN! WUNSCH

BILLIGER SCHMÄH

Max ERNST!

WAS SOLL DER MAX?

ERKLÄR ICH DIR SPÄTER

Das ging hin und her. Zum Gaudium der Buspendler an der Haltestelle und der Kranken im Rotkreuzwagen. Sie fieberten mit, jeden Morgen warteten sie, wie es weiter gehen würde. Für die beiden war es längst mehr geworden. Wenn das Mädchen tagelang fort blieb, war er unruhig, wußte nichts mit sich anzufangen. Dann, eines Morgens, endlich:

GIBT ES EIN SPÄTER?

JA !!!

IM ERNST?

MIT HAUT UND HAAR

SO DIREKT?

ALLE WEGE FÜHREN ZU DIR

UND DRAN VORBEI?

NEIN. HALTESTELLE

LET’S TRY

WANN? WO?

MORGEN, 18.00 UHR, GRILLPARZ

Der Grillparz war ein gewagter Treffpunkt: vom Dorf eine Dreiviertelstunde zu gehen.

Er ist der Hausberg der Dörfler und der umliegenden Gemeinden. Ist biederer Jausenplatz, Ziel für Sonntagsausflüge, Kinderspiele und Verbrüderungen. Seine Kuppe ist waldlos und wiesenbedeckt, darum geht der Blick weit über das Land, Gaukelei von Enthobensein. Die Jugend feiert Feste, zündet Sonnwendfeuer, treibt nachts eigene Machenschaften. Matthias nennt ihn sarkastisch den Katholenhügel, er mag den Berg nicht. Im Grunde ist der Grillparz kein Berg. Er ist nur ein 842m hoher Vorberg und aus der Ferne sieht er aus, als ob er eine Glatze, eine Tonsur, hätte, mit einem Kranz Wald rundherum. Der Lamandergraben hat an seiner Flanke seinen Anfang. Der Name ist ein Meisterstück – man kann an Grillen denken, an Parzen oder an Grillparzer. Allein wegen seines Namens liebte Tom den Berg, den er auch Berg nannte.

Grillparz also. Wollte sie ihn prüfen? War es ein surrealer Scherz? Kannte sie oder hatte sie nachgeschlagen, wer der dadaistische Künstler Max Ernst war?

Das wäre ein guter Anfang.

Es war ein guter Anfang.

Der Wipfel der alten Wetterlärche auf dem höchsten Punkt war abgebrochen. Der Baum war zerzaust, vom Wind gebeutelt. Auf der Bank darunter war viel Leben geschehen, vielleicht von Generationen. Die Wiesen rundum waren zur Sommerzeit gemäht, nur an den Wegrändern stand weißer und roter Klee, vereinzelt Kamille, Dorniger Hauhechel und Lila Bettlerknopf. Schmetterlinge suchten das Süße, Schwalben jagten nach Mücken. Rings lagen die Berge, Hügel und Täler zwischen Donau und dem Hochgebirge. Im Alpenvorland das unterschiedliche Gelb reifender Felder, die Vierkanthöfe mit leichter Hand ins Land gestreut. Bestelltes Bauernland. Ordnung, Sorgfalt, Erbe und reiche Ernte. War es Frieden? War es sein Trugbild unter dem Himmel, über den die Wolken zogen bis zum zerrissenen Horizont?

Das erste Aufeinander-Zugehen.

Der erste Abend.

Aber was ist Zeit?

Die Liebe höhlt sie aus und macht sie sich zur Wohnstatt, mit Ausblick in alle Tage und Nächte.

Mit freundlicher Genehmigung des Haymon Verlages

Brita Steinwendtner: An diesem einen Punkt der Welt. Roman. Haymon Verlag, Innsburck 2014. 320 Seiten, 22,90 Euro.
Brita Steinwendtner präsentiert ihren neuen Roman am Montag (17.3.) um 20 Uhr im Literaturhaus

 

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