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Nicht der Held aus seinem „Heldenleben“

LESEPROBE / RICHARD STRAUSS

21/03/14 Der Jahresregent Richard Strauss sozusagen „in Nahaufnahme“: Im Mittelpunkt dieser sehr Lebensbeschreibung von Christoph Wagner-Trenkwitz stehen die Erinnerungen des Enkels Christian Strauss, der den liebevoll-strengen Großvater und alternden Patriarchen sowie die Lebensumstände der Familie in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts beschreibt. Auch Freunde, Künstler, Kollegen und Briefpartner von Richard Strauss kommen zu Wort. Das Fotomaterial kommt aus dem Familienarchiv. – Eine Leseprobe.

Von Christoph Wahgner-Trenkwitz

095Was Bruno Walter auf die Frage meinte, ob Dirigenten „geboren“ oder „gemacht“ werden, trifft wohl auch auf musikalische Schöpfer zu: „First they are born, then they are made.“ Richard Strauss, geboren am 11. Juni 1864 in München, war einerseits berufen und bestimmt, Musiker zu werden; dass aus ihm einer der größten „Tonsetzer“ (wie man das damals noch nannte) aller Zeiten – und „nebenbei“ ein international umjubelter Pultstar – geworden ist, hat er vielen Wegbegleitern zu verdanken ... und letztlich doch sich selbst. Die Karriereentscheidungen, die er in den ersten Lebensjahrzehnten traf, waren die richtigen; die Wahl der Partnerin fürs Leben – obwohl von vielen Seiten abschätzig kommentiert – ebenfalls.

Als junger „Sensationsmusiker“, als reifer Komponist, für einige Jahre auch als Operndirektor stand Richard Strauss mitten in seiner Zeit und war doch ein Unpolitischer. Präzisieren wir: Er war so unpolitisch, dass er nicht merkte, wenn seine Handlungen ausgeprägte politische Folgen hatten. Weder seine Haltung zum Wilhelminismus noch jene zur Weimarer Republik scheint Beobachter von heute zu interessieren. Die Aufmerksamkeit für Strauss’ Stellung zum Nationalsozialistischen Regime hingegen – sprechen wir diesen Punkt nur gleich an – überwuchert jene für seine Musik. Auch diese Frage wird das Buch beleuchten; wenden wir uns zunächst aber den Prägungen seiner Kindheit und Jugend zu. So erinnert sich die um drei Jahre jüngere Schwester Johanna an ihn:

093Richard war ein auffallend schönes Kind, ein Lockenkopf, lebhaft, mit sprühenden Augen, die aber auch, wie ein Kindheitsbildchen zeigt, verträumt und schwärmerisch blicken konnten.

Und dies notierte er selbst:

Von meiner ersten Jugend berichtet meine Mutter, daß ich auf den Klang eines Waldhorns mit Lächeln, auf den Ton einer Geige mit heftigem Weinen reagierte. Mit viereinhalb Jahren bekam ich den ersten Klavierunterricht [...]. Ich war aber immer ein schlechter Schüler, da das notwendige „Üben“ mir immer wenig Spaß machte, dagegen habe ich gerne vom Blatt gelesen, um möglichst viel Neues kennen zu lernen.

Dies die frühesten Erinnerungen eines späteren Genies, damals noch Wunderkind. Einblicke in das musische Elternhaus gibt Strauss in seinen „Betrachtungen und Erinnerungen“. Der Vater Franz Joseph Strauss (1822–1905) war hoch angesehener Hornist im königlichen Hofopernorchester zu München. Ihn beschreibt der Sohn in gütigen Worten als einen typisch bayrischen „Sturschädel“. Auch der bedenkliche, aber aus heutiger Sicht nicht übertrieben zu bewertende „Konversations-Antisemitismus“ klingt in Strauss’ Erinnerungen an:

094Er war ein sogenannter Charakter. Er hätte es für ehrlos gehalten, ein einmal als richtig erkanntes künstlerisches Urteil jemals zu revidieren und war einer Belehrung meinerseits bis ins höchste Alter unzugänglich. [...] Mein Vater war sehr jähzornig: mit ihm zu musizieren war ein aufregendes Vergnügen. [...] Er hielt streng auf Rhythmus, wie oft schrie er mich an: »Du eilst ja wie ein Jude!« [...] Durch eine schwere Jugend war mein Vater im Charakter verbittert worden. Früh Waise geworden, kam er zu einem Onkel Walter in Nabburg, der dort Türmerdienste versah und ein harter, strenger Mann gewesen sein muß. Mein Vater mußte viele Nachtwachen für ihn versehen, während welcher er für sich ein wenig Latein betrieb.

Zu Hause war er sehr heftig, jähzornig, tyrannisch, und es bedurfte der ganzen Milde und Güte meiner zarten Mutter, um das Verhältnis meiner Eltern, trotzdem es stets von aufrichtiger Liebe und Wertschätzung getragen war, in ungetrübter Harmonie verlaufen zu lassen. Wie weit allerdings die sehr empfindlichen Nerven meiner Mutter darunter wirklich gelitten haben, kann ich heute nicht mehr entscheiden. Meine Mutter mußte von jeher ihre Nerven derart schonen, daß sie, obwohl sehr poetisch veranlagt, wenig lesen konnte und Theater und Konzert besuche oft mit schlaflosen Nächten büßen mußte. Aus ihrem Munde kam nie ein böses Wort, und am glücklichsten war sie, wenn sie mit ihrer Handarbeit (Stickerei) beschäftigt, die Sommernachmittage still und einsam in dem hübschen Garten der Villa meines Onkels Pschorr verbringen konnte, wo auch wir Kinder nach Schulschluß uns einfanden und gewöhnlich die Sommerabende im Freien oder bei einer Kegelpartie zubrachten.

Christoph Wagner Trenkwitz: Sie kannten Richard Strauss. Ein Genie in Nahaufnahme. Amalthea Verlag, Wien 2014. 224 Seiten, 22,95 Euro – www.amalthea.at
Mit freundlicher Genehmigung des Amalthea Verlags

 

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